Warum der politische Rückzug vom Lieferkettengesetz gefährlicher ist als seine Bürokratie
Nachfragen unerwünscht? Das Lieferkettengesetz wird als konsultationsscheues Bürokratiemonster verschmäht – Verantwortung entlang der Wertschöpfung ist aufwändig, aber Menschenrechte gibt’s nicht zum Nulltarif.
30.07.2025
Von Jannik Struss, Projektmanager bei UPJ e.V.
In den aktuellen Debatten rund um die Abschwächung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) oder der EU Deforestation Regulation (EUDR) ist regelmäßig von einer überbordenden Bürokratie die Rede. Lieferkettengesetze werden als Bürokratiemonster mit einem unzumutbaren Aufwand kritisiert. Und die Kritik zeigt Wirkung: Obwohl sowohl das LkSG als auch die CSDDD bereits seit Längerem in Kraft sind, sollen diese nun wieder abgeschwächt werden. Einige fordern sogar die komplette Abschaffung der Gesetze zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Dabei gerät das eigentliche Ziel der vermeintlichen Bürokratiemonster zunehmend aus dem Blick. Es ist ermutigend, dass etliche Unternehmen dagegenhalten, sich ein Level Playing Field wünschen und proaktiv ihre Lieferketten verantwortlich gestalten. Aktuell deutet jedoch wenig darauf hin, dass der Omnibus noch zu bremsen ist und smarte politische Lösungen gefunden werden, die das Wohl von Mensch und Umwelt in der globalisierten Wirtschaft als Maxime im Blick behalten.
Worum geht es also: Weltweit sind rund 28 Millionen Menschen von Zwangsarbeit betroffen, fast jedes zehnte Kind muss Kinderarbeit leisten und im Jahr 2024 gingen 6,7 Millionen Hektar tropischer Regenwald verloren. Dabei treten negative Menschenrechts- und Umweltauswirkungen zumeist auf den tieferen Lieferkettestufen auf. Insbesondere am Ursprung globaler Lieferketten sind informelle und schlecht regulierte Arbeitsbedingungen weit verbreitet. Gerade in diesem Punkt soll die europäische Lieferkettenrichtlinie jedoch angepasst werden. Die Sorgfaltspflichten der CSDDD sollen beispielsweise auf direkte Geschäftspartner beschränkt werden, obwohl Unternehmen zunächst ihre gesamte vorgelagerte Lieferkette überprüfen sollten.
Hoher Wasserverbrauch beim Lithiumbergbau in Südamerika
Veranschaulichen lassen sich die Risiken in der tieferen Lieferkette am Fall des Lithiumbergbaus in Südamerika. Lithium ist ein zentraler Rohstoff für die Energiewende und Bestandteil von Batterien für Elektroautos, Smartphones oder Energiespeicher. Mehr als die Hälfte der weltweiten Lithiumvorkommen befindet sich in den Salzwüsten des sogenannten „Lithiumdreiecks“ zwischen Argentinien, Bolivien und Chile. Dort wird das Metall aus lithiumhaltiger Sole gewonnen, die aus unterirdischen Salzlagerstätten stammt.
In der Atacama-Wüste in Chile wird die Salzlauge aus unterirdischen Solebecken an die Oberfläche gepumpt und in riesigen Verdunstungsbecken über Monate hinweg konzentriert, bis das Lithium schließlich extrahiert und zu Lithiumcarbonat verarbeitet wird. Diese und andere Gewinnungsmethoden verbrauchen allerdings enorme Mengen Wasser. Laut einer aktuellen Studie entspricht beispielsweise der Frischwasser-Fußabdruck des Fénix-Bergbauprojekts in Argentinien dem 70-fachen des jährlichen Wasserverbrauchs der lokalen Bevölkerung. Und das in einer der trockensten Regionen der Erde, in der Wasser ohnehin ein knappes Gut ist.
Da die hydrologischen Prozesse in den Salzwüsten komplex und nur unzureichend erforscht sind, lassen sich die Auswirkungen solcher Wasserentnahmen nur schwer abschätzen. Kritiker:innen befürchten, dass der Grundwasserspiegel durch den Lithiumabbau sinkt oder das Grundwasser kontaminiert wird. Dies würde nicht nur die Biodiversität der fragilen Ökosysteme, sondern auch die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung bedrohen.
„Aus Sicht vieler betroffener Gemeinschaften in der Andenregion bedeutet der Lithiumbergbau keinen Fortschritt, sondern die Fortsetzung kolonialer Ausbeutungsmuster – mit gravierenden ökologischen, sozialen und kulturellen Folgen. Besonders problematisch ist die großflächige Entnahme von Salzsole, die zentrale Ökosysteme sowie traditionelle Wirtschaftsformen wie Weidewirtschaft, Tourismus oder Quinoa-Anbau in und um die Salzseen bedroht. Darüber hinaus beeinträchtigt sie das ohnehin knappe Grundwasser, das für viele Gemeinden in der Region als Trink- und Nutzwasser lebenswichtig ist”, beschreibt Oscar Choque, Eine-Welt-Promotor für Ressourcengerechtigkeit in Sachsen für den Ayni Verein für Ressourcengerechtigkeit e. V., die Perspektive der Betroffenen. Von deutschen und europäischen Unternehmen wünscht er sich, „dass sie Hochland-Salare als schützenswerte Lebensräume anerkennen, die Rechte indigener Gemeinschaften – insbesondere das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) – achten, extraktive Denkweisen hinterfragen und LkSG sowie CSDDD als Grundlage echter menschenrechtlicher Verantwortung ernst nehmen – und entsprechend handeln“.
Kinderarbeit beim Mica-Abbau in Indien und Madagaskar
Ein weiteres Beispiel für die problematischen Bedingungen in der tieferen Lieferkette ist der Abbau von Mica. Aufgrund seines glitzernden Effekts wird das Mineral in Kosmetikprodukten und Autolacken verwendet, aber auch in Elektronikprodukten wie Batterien von Elektrofahrzeugen sowie in Bau- und Kunststoffen eingesetzt. Der Weg des Minerals beginnt jedoch oft in den Minen von Jharkhand und Bihar im Osten Indiens oder im Süden Madagaskars – Regionen, die von Armut, schwacher Infrastruktur und mangelnder staatlicher Kontrolle geprägt sind.
Dort wird Mica häufig in illegal betriebenen Minen und unter informellen sowie prekären Bedingungen abgebaut. „Eines der größten Menschenrechtsrisiken ist eindeutig die Kinderarbeit“, beschreibt Fanny Frémont, Executive Director der Responsible Mica Initiative, die Herausforderungen vor Ort. Schätzungen des Kinderhilfswerks Terre des Hommes zufolge arbeiten in Indien etwa 30.000 und in Madagaskar knapp 10.000 Minderjährige im Mica-Bergbau. Um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern, schürfen sie das Mineral mit einfachsten Werkzeugen, ohne Schutzkleidung und ohne Kontrolle der Arbeitsbedingungen. Immer wieder kommt es zu Mineneinstürzen und schweren Unfällen. Weitere Risiken sind außerdem „Lungenkrankheiten durch den bei den Minenarbeiten freigesetzten Staub und das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohns bzw. die Tatsache, dass von existenzsichernden Löhnen keine Rede sein kann“, sagt Frémont. Mangels alternativer Einkommensmöglichkeiten bleibt vielen Menschen jedoch keine andere Wahl, als Mica zu schürfen.
Insgesamt sind die Lieferketten von Mica komplex und intransparent. Aufgrund des schlecht regulierten, informellen und teilweise illegalen Bergbaus findet der Mica-Handel in Indien und Madagaskar häufig im Graubereich statt, ohne nötige Registrierungen und Lizenzen sowie in Verbindung mit Korruption. Die Lieferkette bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen, ist daher nur schwer möglich.
Diese sowie alle anderen menschenrechtlichen und ökologischen Risiken in den globalen Lieferketten sollten unbedingt im Blick behalten werden, wenn über die Sinnhaftigkeit der Lieferkettengesetze diskutiert wird. Es gibt gerechtfertigte Kritik an den regulatorischen Anforderungen, und an vielen Stellen bedarf es eines konstruktiven Dialogs, um die Gesetze wirksam anzupassen und zu vereinfachen. Wer jedoch eine Abschaffung fordert, entzieht sich seiner Verantwortung gegenüber den Betroffenen in der Lieferkette.
Handlungsmöglichkeiten über Brancheninitiativen
Um den beschriebenen Risiken im Lithium- und Mica-Bergbau entgegenzuwirken, gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten, eine davon ist die Mitwirkung in Brancheninitiativen.
Im „Branchendialog Automobilindustrie“ entwickeln beispielsweise Vertreter:innen aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und weiteren Initiativen gemeinsam Lösungsansätze für menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken entlang globaler Lieferketten der deutschen Automobilindustrie. Neben weiteren Handlungsempfehlungen haben die Mitglieder des vom deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) initiierten Multi-Stakeholder-Forums auch „Länderübergreifende Qualitäts- und Handlungsempfehlungen für einen verantwortungsvollen Lithiumabbau“ entwickelt.
Um die Arbeitsbedingungen im Mica-Bergbau zu verbessern, unterstützt beispielsweise die Responsible Mica Initiative Unternehmen dabei, positiven Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen zu nehmen. Mit Arbeitsplatzstandards, einem Tracability-Tool und dem Austausch mit relevanten Stakeholdern setzt sich die Multi-Stakeholder-Initiative gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen für bessere Arbeitsbedingungen, Bildung und Transparenz vor Ort ein.
Neben Mica und Lithium gibt es viele weitere Rohstoffe, deren Abbau Risiken für Mensch und Natur bedeutet. Um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in der tieferen Lieferkette zu identifizieren, können Unternehmen das kostenfreie Online-Tool „CSR Risiko-Check“ nutzen. Mit einer Datenbank von über 5.500 Risiken und mehr als 450 Handlungsempfehlungen unterstützt der CSR Risiko-Check insbesondere bei der potenziellen Risikoanalyse von Lieferketten.
UPJ, das Netzwerk für Unternehmensverantwortung und gesellschaftliches Engagement, arbeitet für eine nachhaltige Gesellschaft, in der Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit verantwortlich gestalten und in Kooperation mit Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung gesellschaftliche Herausforderungen lösen. In den Themenfeldern Klima und Umwelt, nachhaltige Lieferketten, Pro Bono sowie lokales Engagement und Kooperation arbeitet UPJ mit Unternehmen verschiedener Größen und Branchen sowie mit gemeinnützigen Organisationen und Kommunen in ganz Deutschland zusammen.