VSME-Standard erklärt
Während große Unternehmen in der EU mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden künftig verpflichtet sind, nach der anspruchsvollen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) umfassend über Nachhaltigkeit zu berichten, soll für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ein freiwilliger, aber standardisierter Berichtsrahmen geschaffen werden: der VSME-Standard.
23.04.2025

Dieser neue Ansatz soll insbesondere jenen Unternehmen Orientierung bieten, die bisher von der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgenommen waren – aber dennoch zunehmend mit entsprechenden Anforderungen durch Kunden, Finanzierer oder Regulierungsbehörden konfrontiert sind.
Freiwillig, aber nicht optional: Warum KMU handeln sollten
Die Einführung des VSME-Standards kommt nicht von ungefähr. In der Praxis zeigt sich bereits heute, dass Unternehmen entlang der Lieferkette vermehrt ESG-Daten (Environmental, Social, Governance) anfordern. Großunternehmen, die selbst unter die CSRD fallen, geben Anforderungen zur Nachhaltigkeit an ihre Lieferanten weiter – ein Effekt, der als „Trickle-Down“ bekannt ist. Auch Banken verlangen zunehmend Nachhaltigkeitskennzahlen, um etwa Kredite zu vergeben oder ESG-Scores zu berechnen, die wiederum Einfluss auf Kreditkonditionen haben.
Hinzu kommt ein wachsender Druck durch Investoren und Auftraggeber, die auf standardisierte, vergleichbare Nachhaltigkeitsdaten setzen. Wer hier nicht liefern kann, riskiert wirtschaftliche Nachteile oder gar den Ausschluss von Ausschreibungen. Der VSME-Standard will diesem Trend entgegenwirken und KMU eine praktikable, ressourcenschonende Möglichkeit bieten, diesen Anforderungen zu begegnen – und sich gleichzeitig strategisch für zukünftige Berichtspflichten zu rüsten.
Zwei Module für unterschiedliche Unternehmensgrößen und Ambitionen
Der VSME-Standard ist modular aufgebaut und besteht aus zwei Teilen: einem Basic Module und einem Comprehensive Module.
Das Basismodul richtet sich insbesondere an Kleinstunternehmen und definiert ein Mindestmaß an Offenlegungspflichten. Es soll die Schwelle zur Nachhaltigkeitsberichterstattung möglichst niedrig halten. Unternehmen, die sich erstmals mit ESG-Themen befassen oder über begrenzte Kapazitäten verfügen, können mit dem Basismodul einen Einstieg schaffen und gleichzeitig zentrale Anforderungen abdecken.
Das umfassende Modul (Comprehensive Module) richtet sich an ambitioniertere KMU oder solche, die sich in stark regulierten Lieferketten bewegen. Es enthält weiterführende Datenpunkte, die häufig von Banken, Investoren oder Großkunden nachgefragt werden. Damit ermöglicht es eine tiefere, strategischere Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen – ohne die Komplexität der CSRD vollständig zu übernehmen.
Berichtstiefe mit Augenmaß
Ein zentrales Element des VSME-Standards ist die abgestufte Berichtstiefe. Während das Basismodul eher qualitative Angaben verlangt – etwa zur Umweltpolitik, zu sozialen Aspekten oder zur Unternehmensführung – werden im umfassenden Modul auch quantitative Daten gefordert. Dazu gehören beispielsweise CO2-Bilanzen, Angaben zu Energieverbräuchen oder zur Mitarbeiterstruktur.
Beispielhaft für die gestaffelte Tiefe ist der Umgang mit dem Thema „Treibhausgasemissionen“. Im Basismodul reicht oft eine grobe Einschätzung der Emissionen nach Scopes 1 und 2. Im Comprehensive-Modul hingegen werden differenziertere Analysen gefordert, die auch Scope-3-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette einbeziehen können.
Damit bleibt der VSME-Standard flexibel: Er bietet Orientierung ohne zu überfordern – und kann dennoch als Sprungbrett für eine weitergehende Berichterstattung nach CSRD oder anderen Standards dienen.

Schutz vor Wildwuchs in der Lieferkette
Ein nicht zu unterschätzender Vorteil des VSME-Standards liegt in seiner Standardisierung. Während KMU heute vielfach mit sehr unterschiedlichen Anforderungen ihrer Geschäftspartner konfrontiert sind, schafft der VSME-Rahmen eine einheitliche Sprache für Nachhaltigkeit. Das erleichtert nicht nur die interne Umsetzung, sondern auch die Kommunikation nach außen – etwa gegenüber Kunden, Kreditinstituten oder Behörden.
Gleichzeitig bietet der Standard Schutz vor willkürlichen oder überzogenen Anforderungen durch Großkunden. Wer nach VSME berichtet, kann auf eine klar strukturierte, nachvollziehbare Methodik verweisen und so der Gefahr entgegentreten, in einem unübersichtlichen Nachhaltigkeitsdschungel unterzugehen.
Wie Unternehmen sich vorbereiten können
Auch wenn der VSME-Standard (noch) nicht verpflichtend ist, lohnt sich die Vorbereitung – nicht zuletzt im Hinblick auf künftige gesetzliche Entwicklungen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Berichtspflichten weiter ausgedehnt werden könnten. Die Omnibus-Richtlinie der EU, deren Verabschiedung in Kürze erwartet wird, könnte hier weitere Impulse setzen.
Die Vorbereitung auf den VSME-Standard sollte strukturiert erfolgen. Zentrale Schritte sind:
- Wesentlichkeitsanalyse: Welche Nachhaltigkeitsthemen sind für das eigene Geschäftsmodell wirklich relevant? Welche Themen fordern Kunden oder Banken?
- Lieferkettenanforderungen prüfen: Welche ESG-Vorgaben gelten bereits heute – und welche sind absehbar?
- Treibhausgasbilanz erstellen: Selbst eine einfache CO2-Bilanz schafft Transparenz und zeigt erste Handlungsfelder auf.
- Langfristige Strategie entwickeln: Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern eine Querschnittsaufgabe. Eine klare Strategie hilft, Maßnahmen zu priorisieren und Fortschritte zu dokumentieren.
Fazit: Ein Standard mit Signalwirkung
Der VSME-Standard ist mehr als ein freiwilliges Instrument. Er ist ein Signal an kleine und mittlere Unternehmen, dass Nachhaltigkeit künftig integraler Bestandteil wirtschaftlichen Handelns sein wird – nicht als Belastung, sondern als Chance. Wer sich frühzeitig damit auseinandersetzt, kann Wettbewerbsvorteile sichern, Risiken minimieren und einen aktiven Beitrag zur Transformation der Wirtschaft leisten. Für viele KMU gilt daher: Nach der Berichtspflicht ist vor der Berichtspflicht – und der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist jetzt.