I don't know why you say, „Goodbye“, I say, „Hello“ – Oder: Wie geht es mit ESG weiter?
Das Europäische Parlament hat am 13. November 2025 eine drastische Abschwächung der EU-Nachhaltigkeitsgesetzgebung beschlossen. Die Schwellenwerte für Berichtspflichten bei CSRD und CSDDD werden deutlich angehoben, wodurch Tausende Unternehmen von den Auflagen befreit werden. Während Wirtschaftsvertreter von notwendiger Entbürokratisierung sprechen, kritisieren Nachhaltigkeitsorganisationen einen historischen Rückschritt für Europas Klimapolitik.
26.11.2025
Die Wende kam überraschend, auch wenn sie sich abzeichnete: Nach monatelangen Diskussionen über die Belastung europäischer Unternehmen durch Nachhaltigkeitsvorschriften hat das Europäische Parlament am 13. November 2025 seine finale Verhandlungsposition zum sogenannten Omnibus-Paket verabschiedet. Die Botschaft ist eindeutig – Brüssel rudert zurück. Was als ambitioniertes Projekt zur Transformation der europäischen Wirtschaft begann, wird nun im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und des Bürokratieabbaus erheblich zusammengestrichen.
Im Zentrum der Änderungen stehen zwei zentrale Richtlinien: die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), besser bekannt als Lieferkettenrichtlinie. Beide Regelwerke waren als Kernstücke des European Green Deal konzipiert worden und sollten europäische Unternehmen zu mehr Transparenz und Verantwortung in Sachen Nachhaltigkeit verpflichten. Doch die ambitionierten Pläne erwiesen sich in der Praxis als Stolperstein.
Das ist passiert
Bei der CSRD, die Unternehmen zur detaillierten Offenlegung ihrer Nachhaltigkeitsleistung verpflichtet, hat das Parlament die Schwellenwerte drastisch angehoben. Künftig sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.750 Mitarbeitern und einem Umsatz von mindestens 450 Millionen Euro berichtspflichtig sein. Zum Vergleich: Die ursprünglichen Schwellenwerte lagen deutlich niedriger und hätten eine weitaus größere Zahl von Unternehmen erfasst. Wie Clifford Chance in einer Analyse ausführt, fallen durch diese Anhebung Tausende Unternehmen aus dem Anwendungsbereich heraus – deutlich weniger als ursprünglich unter der Non-Financial Reporting Directive vorgesehen waren.
Noch drastischer fällt die Kehrtwende bei der CSDDD aus. Die Lieferkettenrichtlinie, die Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Wertschöpfungsketten verpflichten sollte, wird auf einen Bruchteil ihres ursprünglichen Anwendungsbereichs reduziert. Die neue Schwelle liegt bei mindestens 5.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Wie Bird & Bird berichtet, entfällt zudem die Pflicht zur Vorlage von Klimaplänen komplett. Diese Auflage wurde vom Parlament als unverhältnismäßig und zu aufwendig eingestuft.
Die Entscheidung ist Teil des umfassenderen Omnibus-Pakets, mit dem die EU-Kommission den regulatorischen Druck auf Unternehmen um mindestens 25 Prozent senken will. Die Initiative zur Reduzierung der „EU regulatory burden“ zielt auf Entlastung durch Digitalisierung, Bürokratieabbau und eine klarere Abgrenzung der verschiedenen Berichtspflichten. Wie DLA Piper ausführt, stehen nun insbesondere kleine und mittlere Unternehmen im Fokus der Entlastungsmaßnahmen, da diese überproportional von den bisher geltenden Regelungen betroffen waren.
Die Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat haben am 18. November 2025 begonnen. Eine Einigung wird bis Ende 2025 angestrebt, wobei in einzelnen Punkten noch keine vollständige Übereinstimmung besteht. Besonders umstritten bleibt die Frage, ob die Abschwächungen nicht zu weit gehen und die klimapolitischen Ziele der EU gefährden.
Die Reaktionen auf die Änderungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Nachhaltigkeitsorganisationen und zivilgesellschaftliche Akteure zeigen sich entsetzt. Die Global Reporting Initiative (GRI) bezeichnet die Parlamentsentscheidung als „deutlichen Rückschritt für die EU-Nachhaltigkeitspolitik“. Die Zahl der betroffenen Unternehmen sinke massiv, während zentrale Klimapflichten ersatzlos gestrichen würden. Nichtregierungsorganisationen wie ClientEarth haben bereits rechtliche Schritte gegen die verwässerten Anforderungen angekündigt.
Besonders scharf fällt die Kritik von Andreas Rasche aus, Professor für Business in Society an der Copenhagen Business School. In einer vielbeachteten Stellungnahme auf LinkedIn warnt er vor den politischen Implikationen der Entscheidung. Die Abschwächung sei kein Zufall, sondern das Ergebnis bewusster politischer Manöver, bei denen die konservative Europäische Volkspartei ihre traditionellen zentristischen Bündnispartner zugunsten einer Allianz mit der extremen Rechten aufgegeben habe. Wie Green Central Banking zitiert, bezeichnet Rasche dies als rücksichtslose „Alles-oder-Nichts“-Verhandlungstaktik. Für viele Unternehmen sei zwar die mangelnde Rechtssicherheit ein Problem gewesen, doch dieser Kompromiss sei nicht aus Konsens entstanden, sondern aus politischer Erpressung. Eine solche Vorgehensweise untergrabe das Vertrauen und vergifte die parlamentarische Zusammenarbeit, so Rasche. Der Professor sieht in der Entscheidung einen gefährlichen Präzedenzfall für künftige Gesetzgebungsverfahren in der EU.
Wirtschaftsvertreter hingegen begrüßen die Vereinfachungen als überfälligen Schritt zu mehr Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit. Die Berichtspflichten hätten in ihrer ursprünglichen Form insbesondere mittelständische Unternehmen vor kaum lösbare Herausforderungen gestellt, argumentieren Unternehmensverbände. Die neuen Schwellenwerte schafften wettbewerbsfähigere Rahmenbedingungen und erlaubten es Unternehmen, sich auf Kerngeschäft und Innovation zu konzentrieren, statt Ressourcen in komplexe Compliance-Prozesse zu investieren.
So könnte es weitergehen
Doch die Debatte geht über die unmittelbaren Änderungen an CSRD und CSDDD hinaus. Im Hintergrund zeichnet sich eine grundsätzliche Neuausrichtung der europäischen Nachhaltigkeitspolitik ab. Die EU-Kommission hat im Juli 2025 eine Änderung des Europäischen Klimagesetzes vorgeschlagen, die eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 90 Prozent bis zum Jahr 2040 gegenüber dem Jahr 1990 vorsieht, wie auf der offiziellen Website der Kommission nachzulesen ist. Der EU-Rat hat einer rechtlich verbindlichen Zielmarke von mindestens 85 Prozent zugestimmt, wobei weitere 5 Prozent durch internationale Zertifikate erreicht werden sollen.
Für das dritte Quartal 2026 werden laut Linklaters Gesetzesvorschläge zur Überarbeitung nationaler Klimaziele, zur Elektrifizierung sowie zur nachhaltigen Kohlenstoffdioxid-Transportinfrastruktur erwartet. Parallel dazu entsteht mit dem „Clean Industrial Deal“ ein Rahmen für Leitmärkte für Klimatechnologien, der Initiativen zur Förderung sauberer Energietechnologien, Wasserstoff-Infrastruktur und industrieller Dekarbonisierung umfasst.
Die scheinbare Widersprüchlichkeit – einerseits ambitionierte Klimaziele, andererseits deutliche Abschwächung konkreter Unternehmenspflichten – spiegelt eine Neugewichtung wider. Statt auf breite regulatorische Verpflichtungen setzt Brüssel künftig stärker auf Technologieförderung, Innovationsanreize und die Konzentration auf große Konzerne mit entsprechender Marktmacht. Wie Baker Tilly analysiert, bleibt die Vereinfachung und Entbürokratisierung Leitmotiv der Kommission, während die praktische Umsetzung stärker auf ökonomische Rahmenbedingungen und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet wird.
Für 2026 und 2027 plant die Kommission weitere Gesetzgebungen zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft, zur Förderung nachhaltiger Produkte sowie einen „Ocean Act“ zur nachhaltigen Ozeanwirtschaft. Doch die konkrete Umsetzung dieser Vorhaben wird maßgeblich davon abhängen, welche Lehren aus den Erfahrungen mit CSRD und CSDDD gezogen werden.
Die jüngsten Entwicklungen markieren einen Wendepunkt in der europäischen Nachhaltigkeitspolitik. Nach Jahren steigender Anforderungen und zunehmender Regulierungsdichte vollzieht Brüssel eine pragmatische Kurskorrektur. Ob diese Neuausrichtung den Klimazielen gerecht wird oder ob die EU ihre Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel verspielt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Sicher ist: Der weitere Verlauf der Trilogverhandlungen wird richtungsweisend sein für die Balance zwischen ökologischer Ambition und wirtschaftlicher Machbarkeit in Europa.