Europas Waldschutz im Krisenmodus: Entwaldungsverordnung erneut verschoben
Die EU-Entwaldungsverordnung sollte verhindern, dass für Kaffee, Kakao oder Holzprodukte Wälder abgeholzt werden. Doch die Umsetzung gerät zum Fiasko. Am 26. November 2025 stimmte das EU-Parlament für eine erneute Verschiebung bis Ende 2026. Wirtschaft und Politik fordern grundlegende Nachbesserungen bei einer Verordnung, die Unternehmen mit Bürokratie überlastet, ohne das eigentliche Problem anzugehen: Entwaldung findet vor allem außerhalb Europas statt.
17.12.2025
Als die Europäische Union im Juni 2023 die Entwaldungsverordnung verabschiedete, war der Jubel bei Umweltschützern groß. Endlich sollte die EU ihre Mitverantwortung für die globale Waldzerstörung ernst nehmen. Jährlich verschwinden weltweit acht Millionen Hektar Wald, eine Fläche größer als Bayern. Die EU ist für etwa zehn Prozent dieser Abholzung mitverantwortlich, vor allem durch den Import von Soja, Palmöl, Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Holz und Kautschuk. Die neue Verordnung sollte diesen Raubbau stoppen. Doch knapp zweieinhalb Jahre später steht fest: Die Umsetzung ist gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Ursprünglich sollte die Entwaldungsverordnung Ende 2024 in Kraft treten. Dann kam die erste Verschiebung auf Ende 2025. Nun hat das EU-Parlament am 26. November 2025 für eine weitere Verzögerung bis Ende 2026 gestimmt. 402 Abgeordnete stimmten dafür, 250 dagegen. Die Mehrheit kam auch durch Stimmen rechtsextremer Abgeordneter zustande, was von Kritikern scharf bemängelt wurde. Zusätzlich soll die Verordnung bereits im April 2026 überprüft und möglicherweise abgeschwächt werden, noch bevor sie überhaupt gilt.
Die Verordnung verlangt von Unternehmen, die Produkte mit Waldbezug in die EU importieren oder handeln, detaillierte Nachweise über deren Herkunft. Sie müssen belegen, dass die Waren nicht von Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Dazu gehören GPS-Koordinaten der Anbauflächen, lückenlose Lieferkettendokumentationen und regelmäßige Sorgfaltserklärungen. Was auf dem Papier nach konsequentem Waldschutz klingt, entpuppt sich in der Praxis als nahezu unerfüllbarer bürokratischer Albtraum.
Das zentrale Problem: Das IT-System zur Datenerfassung funktioniert nicht zuverlässig. Die Risiko-Klassifizierung der Herkunftsländer verzögerte sich monatelang. Viele Produzenten in Asien, Afrika und Lateinamerika hatten weder die Zeit noch die technischen Kapazitäten, die komplexen Dokumentationssysteme aufzubauen. Manche Länder wie China verweigerten die Herausgabe der erforderlichen Geolokalisierungsdaten unter Verweis auf den Schutz kritischer Infrastrukturen. Ohne die Verschiebung hätte am 30. Dezember 2025 faktisch ein Importverbot für nicht-konforme Waren gegolten, mit absehbaren Versorgungslücken und Preissteigerungen für Verbraucher.
Besonders absurd wird es bei Produkten aus Ländern, in denen Entwaldung kein Problem darstellt. Österreich etwa verzeichnet täglich ein Waldwachstum von sechs Hektar. Das Land ist zu 47,9 Prozent bewaldet, eine der höchsten Raten in der EU. Dennoch müssten österreichische Forstwirte und Holzverarbeiter denselben bürokratischen Aufwand betreiben wie Importeure aus Entwaldungsregionen. Der SPÖ-Abgeordnete Günther Sidl kritisierte diese Gleichbehandlung scharf. Die FPÖ sprach gar von einem „Bürokratiemonster“, das für Österreich kaum Vorteile, aber erhebliche Belastungen bringe.
Die betroffenen Branchen schlagen Alarm. Tischler, Schreiner, Zimmereien, Bäcker und Konditoren müssten für jede verwendete Holzart, jeden Kakao- oder Kaffeebezug detaillierte Herkunftsnachweise führen. Auch Polsterer, das Kfz-Handwerk wegen Kautschuk und weitere Gewerke wären betroffen. Sara Hofmann, Bundesvorsitzende der Handwerksjunioren, erklärte gegenüber der Deutschen Handwerks Zeitung: „Die Entwaldungsverordnung ist momentan die, die uns im Gewerk am härtesten trifft.“ Kleine und mittlere Betriebe sehen sich finanziell und administrativ überfordert.
Der Deutsche Säge- und Holzindustrie Bundesverband begrüßte die Verschiebung ausdrücklich. Geschäftsführerin Julia Möbus kommentierte: „Die Verschiebung verschafft den Unternehmen nicht nur die benötigte Zeit, sondern ermöglicht endlich eine Überarbeitung der Vorgaben, die den realen Abläufen in den Betrieben gerecht wird.“ Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks sprach von einem wichtigen Signal. Die Forderung ist klar: Eine Null-Risiko-Kategorie für Länder ohne Entwaldungsproblem, bei der keine individuelle Sorgfaltserklärung mit Georeferenzierung erforderlich ist.
Der nun beschlossene Kompromiss sieht vor, dass künftig nur noch derjenige eine vollständige Sorgfaltserklärung einreichen muss, der das Produkt erstmals auf den EU-Markt bringt. Alle nachgelagerten Händler und Verarbeiter könnten sich auf die Referenznummer dieser Ursprungserklärung berufen. Das würde Einzelhändler und Zwischenhändler enorm entlasten, die bisher für jede ihrer Hunderte Produktlinien separate Dokumentationen hätten erstellen müssen.
Doch die Kritik geht tiefer. Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz warf der Europäischen Volkspartei vor, gestützt durch Rechtsextreme, die Entwaldungsverordnung zu schwächen, um „Interessen der Agrarindustrie- und Sägewerklobby“ zu schützen, statt den globalen Waldschutz voranzutreiben. Die SPD-Parlamentarierin Delara Burkhardt warnte, die Konservativen würden unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus das Herzstück des Green Deals aushöhlen.
Tatsächlich offenbart die Debatte einen grundlegenden Konstruktionsfehler der EU-Klimapolitik. Die Verordnung behandelt alle Regionen gleich, obwohl das Entwaldungsproblem regional extrem unterschiedlich ausgeprägt ist. Statt gezielt die Produktion in Hochrisiko-Gebieten zu kontrollieren, überzieht sie auch Länder mit nachhaltig bewirtschafteten Wäldern mit Auflagen. Das frustriert Betriebe, bindet Ressourcen und untergräbt die Akzeptanz für notwendigen Klimaschutz.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer forderte bereits im Sommer 2025 eine Null-Risiko-Kategorie und Alternativen zur Geolokalisierungspflicht. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger sowie der Medienverband der freien Presse begrüßten, dass Druckerzeugnisse wie Zeitungen, Zeitschriften und Bücher nun möglicherweise von den Regeln ausgenommen werden. Diese Ausnahmen zeigen: Die Verordnung wurde ohne ausreichende Praxistauglichkeit entworfen.
Nun steht die EU vor einem Dilemma. Die Ziele der Verordnung sind richtig und wichtig. Wälder sind entscheidend für Klimaschutz und Artenvielfalt. Die EU muss ihrer Mitverantwortung für globale Entwaldung gerecht werden. Doch eine Verordnung, die gut gemeint, aber schlecht gemacht ist, schadet mehr als sie nützt. Sie überfordert Unternehmen, belastet die Wirtschaft und erzeugt Widerstand gegen Klimapolitik generell.
Bevor die Entwaldungsverordnung Ende 2026 in Kraft tritt, müssen grundlegende Nachbesserungen erfolgen. Ein differenziertes Risiko-Management ist nötig, das zwischen Hochrisiko-Regionen und nachhaltig bewirtschafteten Wäldern unterscheidet. Die Dokumentationspflichten müssen drastisch vereinfacht werden. Und die IT-Infrastruktur muss endlich funktionieren. Sonst droht der Entwaldungsverordnung das gleiche Schicksal wie vielen anderen gut gemeinten EU-Regulierungen: Sie wird zum Symbol für Bürokratiewahn statt für effektiven Umweltschutz.
Die Zeit läuft. Sollte bis Jahresende keine Einigung erzielt werden, träte die alte, kaum umsetzbare Version in Kraft. Die EU-Kommission hat für diesen Fall einen nicht näher spezifizierten Notfallmechanismus angekündigt. Das zusätzliche Jahr bis Ende 2026 sollte nicht zur Entspannung genutzt werden, sondern zur Erarbeitung einer Verordnung, die tatsächlich Wälder schützt, ohne Unternehmen zu ersticken. Denn am Ende nützt die strengste Umweltverordnung nichts, wenn sie an der Realität scheitert.