Entwaldungsverordnung: EU-Kommission plant erneute Verschiebung
Die EU-Kommission plant eine weitere Verzögerung der umstrittenen Entwaldungsverordnung (EUDR). Hauptgrund sind technische Schwierigkeiten beim geplanten Informationssystem, heißt es in einem Schreiben von Umweltkommissarin Roswall. Während Unternehmen Erleichterung spüren, wächst Kritik: Die Verschiebung gefährde Glaubwürdigkeit und Ambitionen des Waldschutzes.
24.09.2025
Die Debatte um die Einführung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) erreicht eine neue Eskalationsstufe: Die Kommission erwägt eine zusätzliche Verschiebung des Anwendungsbeginns. Hintergrund sind erhebliche technische Defizite bei einem zentralen IT-System, das essenziell für die Umsetzung des Gesetzes sein soll. Der Brief von Umweltkommissarin Jessika Roswall an den Vorsitzenden des Umweltausschusses im Europaparlament offenbart dabei ein Kernproblem: Die technische Infrastruktur droht den Anforderungen nicht zu genügen, wodurch Handelsströme gestört und Unternehmen in Haftung genommen werden könnten.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die EUDR ab Ende 2024 in Kraft tritt, zunächst für große Unternehmen. Bereits diese Frist wurde im Oktober 2024 offiziell um zwölf Monate verlängert, sodass seitdem der 30. Dezember 2025 als neuer Stichtag gilt. Für Klein- und Kleinstbetriebe wurde eine zusätzliche Übergangsfrist eingeräumt, mit Anwendungspflicht ab dem 30. Juni 2026. Nun steht eine weitere Revision dieses Zeitplans an.
Der zentrale Ansatz der EUDR besteht darin, Produkte wie Holz, Soja, Palmöl, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Rindfleisch nur dann für den EU-Markt zuzulassen, wenn sie nachweislich nicht aus Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 gerodet wurden, und wenn die Produktion gesetzeskonform war. Zudem müssen Unternehmen eine Sorgfaltspflicht (Due Diligence) erfüllen und eine entsprechende Erklärung (Due Diligence Statement, DDS) einreichen. Diese Anforderungen setzen das geplante IT-System voraus, über das DDS verwaltet, geprüft und geteilt werden sollen. Fehlt diese Grundlage, sei eine rechtskonforme Umsetzung kaum möglich, argumentiert die Kommission.
Unternehmen in verschiedenen Branchen reagieren mit gemischten Gefühlen: Auf der einen Seite bedeutet eine Verschiebung wirtschaftliche Entlastung und mehr Zeit für Vorbereitung. Viele beklagen unklare Vorgaben und hohe Belastungen durch Dokumentationspflichten und technische Anforderungen. Einige Stimmen warnen jedoch: Jede weitere Verzögerung schwächt das Vertrauen in die regulatorische Verbindlichkeit der EUDR und erweckt den Eindruck, die Umweltziele könnten geopfert werden zugunsten politischer Kompromisse.
In Deutschland hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bereits Hilfestellungen zur Vorbereitung angeboten und betont, dass Waldbesitzer unterstützt werden sollen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung mehrfach – unter anderem im Rat der EU – eine Verlängerung der Übergangsphase gefordert, um praktikable Umsetzung mit moderatem bürokratischem Aufwand zu gewährleisten. Insbesondere aus der Forst- und Holzwirtschaft kam Druck: Viele Akteure sehen sich nicht ausreichend eingebunden und fürchten, dass technische Vorgaben und Datenerhebungen (etwa Geokoordinaten von Flächen) ihre Leistungsfähigkeit überspannen.
Doch auch Umweltorganisationen reagieren empört: Eine weitere Verschiebung wäre ein Rückschritt im globalen Kampf gegen Entwaldung. In einem öffentlichen Aufruf kritisierten indonesische NGOs die Verzögerung, da sie laufende Reform- und Kontrollmaßnahmen in ihrem Land behindern könnte. Rettet den Regenwald e.V. Der Vorwurf lautet: Die EU nutze technisches Versagen als Vorwand, um die ambitionierte Verordnung zu verwässern.
Zudem warnen Fachleute vor unbeabsichtigten Effekten: Es besteht das Risiko, dass Handel mit betroffenen Rohstoffen vermehrt außerhalb regulierter Kanäle fließe („Leakage“) oder Kleinbauern ohne effiziente Unterstützung aus dem Markt gedrängt würden. Gerade in Teilen Afrikas oder Lateinamerikas könnten die sozialen und ökologischen Folgen solcher Handelsverschiebungen gravierend sein. Die EUDR würde damit ihre Wirkung verfehlen oder sogar unerwünschte Anreize für Landnutzungsänderungen in angrenzenden Ökosystemen setzen.
Das Europäische Parlament und der Rat müssen einer erneuten Fristverschiebung noch zustimmen. Eigentlich bedarf dieser Schritt einer parlamentarischen Billigung und Veröffentlichung im EU-Amtsblatt. Ob und in welchem Umfang politische Zugeständnisse gemacht werden, ist offen – manche Abgeordnete fordern eine „Zero-Risiko-Kategorie“, mit der risikoarme Produkte oder Regionen von Teilen der Dokumentationspflicht befreit würden.
Die technische Komplexität der EUDR steckt in der digitalen Verknüpfung von vielen Akteuren entlang globaler Lieferketten: Produzenten, Händler, Importeure, Kontrollbehörden. Daten zu Herkunft, Geokoordinaten von Anbauflächen, Mengen, Zwischenschritten müssen in einem interoperablen System effizient verarbeitet und geprüft werden. Ein Systemfehler würden gravierende Folgen haben: Nicht nur wirtschaftliche Haftungsrisiken, sondern auch ein massiver Vertrauensverlust in das gesamte Vorhaben.
Trotz dieser Herausforderungen zeigen Beispiele aus der Praxis, dass Fortschritte möglich sind: In Mittelamerika haben Kaffeebezirke bereits erfolgreich rückverfolgbare Lieferketten mit QR-Codierung und Geolokalisierung realisiert, um den Anforderungen der EUDR gerecht zu werden. wri.org Solche Modellprojekte könnten als Blaupause dienen, wenn sie systematisch skaliert und mit staatlicher Unterstützung vernetzt werden.
Für Deutschland bedeutet die Debatte eine Gratwanderung: Die nationale Forst- und Agrarbranche setzt auf klare, praxisnahe Vorgaben, während Umweltziele nicht preisgegeben werden dürfen. Die Verzögerung mag dringend nötig sein, doch sie darf nicht Teil einer schleichenden Verwässerung des Regelwerks sein. Wenn der politische Wille stark genug ist, könnte aus dieser Zitterpartie ein Signal werden: Regulierung mit technischer Substanz, nicht mit halber Kraft.