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EU-Parlament stimmt für drastische Abschwächung der Nachhaltigkeitsgesetze – Umweltverbände sprechen von „Entkernung"

Mit knapper Mehrheit hat das EU-Parlament am Donnerstag seine Verhandlungsposition zum umstrittenen Omnibus-I-Paket angenommen. 382 Abgeordnete stimmten dafür, 249 dagegen, 13 enthielten sich. Während die Wirtschaft aufatmet und von „Bürokratieabbau" spricht, schlagen Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Alarm: Die Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu Lieferketten-Sorgfaltspflichten würden bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Besonders brisant: Die Mehrheit kam nur durch ein Bündnis konservativer Kräfte mit rechtsextremen Parteien zustande.

13.11.2025

EU-Parlament stimmt für drastische Abschwächung der Nachhaltigkeitsgesetze – Umweltverbände sprechen von „Entkernung"

Das Parlament hat die Anforderungen an Unternehmen massiv zurückgeschraubt. Künftig sollen nur noch Großkonzerne mit durchschnittlich über 1.750 Beschäftigten und einem Jahresnettoumsatz von mehr als 450 Millionen Euro zur sozialen und ökologischen Berichterstattung verpflichtet werden. Bei den Sorgfaltspflichten für Lieferketten wird die Messlatte noch höher gelegt: Hier sollen nur Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 1,5 Milliarden Euro in die Pflicht genommen werden.

Diese drastische Anhebung der Schwellenwerte bedeutet in der Praxis, dass deutlich weniger Unternehmen überhaupt von den Regelungen erfasst werden. Während die ursprünglichen Gesetze ein breites Spektrum der europäischen Wirtschaft einbeziehen sollten, beschränkt sich die Verantwortung nun auf eine kleine Elite der größten Konzerne. Mittelständische Unternehmen, die oft wichtige Zulieferer und bedeutende Akteure in globalen Lieferketten sind, fallen komplett aus dem Raster.

Auch die Berichtspflichten selbst werden ausgehöhlt. Die Standards sollen weiter vereinfacht und reduziert werden, weniger qualitative Angaben erfordern und branchenspezifische Berichterstattung wird künftig nur noch freiwillig sein. Kleinere Unternehmen sollen vor den Berichtspflichten ihrer größeren Geschäftspartner geschützt werden, die keine zusätzlichen Informationen mehr verlangen dürfen, die über freiwillige Standards hinausgehen.

Klimatransitionspläne gestrichen

Besonders schwer wiegt die Abschaffung der verpflichtenden Klimatransitionspläne. Unternehmen müssen künftig keinen Plan mehr vorlegen, wie sie ihr Geschäftsmodell mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang bringen wollen. Gerade diese Pläne galten als zentrales Instrument, um die Klimaziele zu erreichen und Unternehmen zu einer langfristigen Transformation zu bewegen. Viele fortschrittliche Konzerne haben bereits in entsprechende Systeme investiert und nutzen solche Pläne als strategisches Steuerungsinstrument.

Bei den Lieferketten-Sorgfaltspflichten soll künftig ein risikobasierter Ansatz verfolgt werden. Anstatt systematisch Informationen von kleineren Geschäftspartnern einzuholen, sollen sich die betroffenen Großunternehmen auf bereits verfügbare Daten stützen und zusätzliche Auskünfte nur im Ausnahmefall anfordern dürfen. Bei Verstößen können zwar Geldbußen verhängt werden, deren Leitlinien sollen jedoch von der Kommission und den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Die Ahndung erfolgt auf nationaler, nicht auf EU-Ebene.
Industrie begrüßt, Umweltverbände alarmiert

Die Reaktionen auf die Abstimmung könnten unterschiedlicher nicht sein. Jörgen Warborn, der Berichterstatter des Rechtsausschusses von der Europäischen Volkspartei aus Schweden, jubelt: „Die heutige Abstimmung zeigt, dass Europa sowohl nachhaltig als auch wettbewerbsfähig sein kann. Wir vereinfachen Regeln, senken Kosten und geben den Unternehmen die Klarheit, die sie brauchen, um zu wachsen, zu investieren und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen."

Auch der deutsche Elektro- und Digitalindustrieverband ZVEI begrüßt das Ergebnis inhaltlich als „entscheidenden Schritt, um die Überregulierung im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Lieferkettenregulierung zu reduzieren". Allerdings äußert ZVEI-Geschäftsführerin Sarah Bäumchen erhebliche politische Bedenken: „Dass dieser wichtige Schritt zur Entbürokratisierung nicht aus der demokratischen Mitte zustande gekommen ist, ist allerdings ein fatales Signal."

Genau dieser Punkt treibt Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen um. Die Organisation Germanwatch übt scharfe Kritik: „Dass die EVP zur Verwässerung eines zentralen Menschenrechts- und Umweltgesetzes gemeinsame Sache mit rechtsextremen Kräften macht, ist ein Dammbruch", erklärt Juliane Bing, Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Die Organisation warnt, dass diese Entscheidung die Glaubwürdigkeit der EU als globale Vorreiterin für Menschenrechte und nachhaltiges Wirtschaften beschädigt.

Besonders brisant ist die Kritik an CDU-Chef Friedrich Merz, dessen Partei die größte Gruppe der Europäischen Volkspartei stellt. Merz hatte noch vor wenigen Wochen eine klare Abgrenzung zu rechtsaußen angekündigt. „Die heutige Abstimmung zeigt das Gegenteil: Anstatt die Brandmauer zu verteidigen, wurde sie geopfert", so Bing.

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WWF warnt vor Kurzsichtigkeit

Der WWF Deutschland spricht von einer „Entkernung" der Gesetze bis zur Unkenntlichkeit. „Die Gesetze, die ein grünes Wachstum und eine nachhaltige und resiliente Wirtschaft gefördert hätten, wurden heute bis zur Unkenntlichkeit entkernt. Das ist kurzsichtig, sowohl für das Wohlergehen von Mensch und Natur, als auch für die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen in Europa", kritisiert Laura Niederdrenk, Senior Advisor Sustainable Finance beim WWF Deutschland.

Die Naturschutzorganisation macht auch die Europäische Kommission mitverantwortlich für das Debakel. Diese habe in einem überstürzten und unbegründeten Verfahren die Büchse der Pandora geöffnet und einen Wettlauf nach unten angestoßen. Sowohl das Parlament als auch der Rat hätten den Omnibus-Vorschlag der Kommission sogar noch verschlechtert.

Viele Unternehmen hätten bereits in effektive Berichtssysteme investiert und würden nun das Signal erhalten, dass die EU sie in ihren Bemühungen um Nachhaltigkeit nicht unterstützt. Der WWF fordert die EU-Institutionen auf, zumindest an den Klimatransitionsplänen der Unternehmen festzuhalten. Nur wenn sich Unternehmen nachhaltig aufstellen, könnten sie mittel- und langfristig erfolgreich sein und Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Trilog als letzte Hoffnung

Nach der Abstimmung im Parlament beginnt nun das Trilog-Verfahren zwischen Parlament, Rat und Kommission. Bis Ende 2025 soll dieses nach Angaben des Parlaments abgeschlossen sein. Germanwatch fordert die Bundesregierung auf, in diesen Verhandlungen Haltung zu zeigen und sich klar für die notwendigen Regeln zum Schutz von Arbeitnehmern und für verbindliche Umwelt- und Menschenrechtsstandards einzusetzen.

„Jetzt ist der Moment, in dem Berlin zeigen muss, dass Deutschland für ein wertebasiertes Europa steht. Wer Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und zukunftsfähiges Wirtschaften ernst nimmt, darf das Einreißen der Brandmauer nicht hinnehmen", fordert Juliane Bing von Germanwatch.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die drastischen Abschwächungen Bestand haben oder ob im Trilog noch Korrekturen möglich sind. Das Parlament hat jedenfalls ein deutliches Signal gesetzt: Die Priorität liegt auf Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau, nicht auf ambitionierten Nachhaltigkeitszielen. Ob dies tatsächlich im langfristigen Interesse der europäischen Wirtschaft liegt, bleibt höchst umstritten.

Quelle: UD
 

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