Der „Contribution Claim“ löst den „Klimaneutral“-Claim ab
Wir sprechen mit Lars Forjahn (Vorstand) und Katharina Widemann (Unternehmenskooperationen) von PRIMAKLIMA, warum „klimaneutral“ zu sein auf Unternehmensebene ausgedient hat.
28.05.2025

UmweltDialog: Die Kompensation und die zugehörige Aussage, klimaneutral oder auf dem Weg dahin zu sein. Ist dieses Ziel angesichts der Kritik und Regulierungen überhaupt noch zeitgemäß?
Lars: Ganz klar: Ja. Klimaneutralität ist als Ziel nicht überholt – im Gegenteil. Am Ende bedeutet Klimaneutralität nichts anderes, als dass Einbindung und Ausstoß von Treibhausgasen gleich hoch sind. Das ist das Ziel. Die – oft durchaus berechtigte – Kritik daran: Wenn bei einigen Unternehmen kaum Anstrengungen erkennbar sind, den Ausstoß zu senken, aber gleichzeitig behaupten, klimaneutral zu sein, weil sie große Mengen an Zertifikaten kaufen, ist das nicht nachhaltig. Das System kann so auf Dauer nicht funktionieren, da die Einbindung von Treibhausgasen nicht beliebig erweiterbar ist. Hinzu kommt, dass es bislang keinen transnationalen Akteur gibt, der die Wirkung der Projekte prüft. Wenn aber eine Verringerung von Treibhausgasen bei Unternehmen mit Investitionen in wirksame Klimaschutzprojekte kombiniert wird, sind wir auf dem weiten Weg Richtung Klimaneutralität.
Dass mehr Sensibilität bezüglich der Begrifflichkeiten herrscht, finde ich absolut begrüßenswert. Dafür hat die Architektur des Pariser Abkommens ebenso gesorgt wie die daraus folgenden gesetzlichen Anpassungen, etwa die EmpCo und die Green Claims Directive.


Was genau regelt die EmpCo-Richtlinie – und was bedeutet das für die Praxis?
Katharina: Die EmpCo prüft Umwelt- und Klimabehauptungen in der Unternehmenskommunikation – und stellt strenge Anforderungen an Nachvollziehbarkeit, Belegbarkeit und Transparenz. In der Praxis heißt das: Schwammige Begriffe wie „klimaschonend“ oder „umweltfreundlich“ sind tabu. Und wer behauptet, „klimaneutral“ zu sein, muss das vollständig belegen – inklusive Emissionsquellen, Bilanzierung, und exakter Wirkung der eingesetzten Maßnahmen. Und das ist für viele schlicht nicht möglich. Dieses Problem liegt in Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens begründet: Das besagt, dass künftig alle Länder, und nicht wie früher nur die Industriestaaten, ihre CO2-Bilanzen offenlegen und Klimaziele definieren müssen. Das führt dazu, dass Länder des globalen Südens ihre CO2-Zertifikate für die eigene Bilanz nutzen. So kommt es zu einer sogenannten Doppelzählung, wenn Zertifikate an Dritte weitergegeben werden. Zwar ist geplant, dass ein Markt mit Zertifikaten, die das Gastland nicht beansprucht, entsteht und als Zertifikate mit „Corresponding Adjustments“ gehandelt werden können, allerdings gibt es dies bisher nur sehr vereinzelt. Auf Länderebene bleibt das Ziel, Klimaneutralität zu erreichen, aber nach wie vor ein anzustrebendes Ziel.
Für Unternehmen geht es dagegen jetzt darum, ihre Marketingclaims zu prüfen und an die neuen Gegebenheiten anzupassen, um künftig ihr Engagement transparent zu kommunizieren. Es ist noch etwas Zeit: Die EmpCo-Richtlinie wird im September 2026 das bestehende UWG („Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb“) verschärfen. Zuerst steht nach wie vor die Bestandsaufnahme aller Emissionen – inklusive der eigenen Lieferkette. Dann kann man überlegen, wie und wo man freiwillig Verantwortung übernimmt und darüber spricht. Nicht mit Versprechen, alles sei innerhalb der Unternehmensbilanz „neutralisiert“, sondern mit dem Ziel, einen angemessenen Beitrag zum globalen 1,5-Grad-Ziel von Paris zu leisten.
Gerade erst wurde in einer Studie von von Info.link, The Goodwins und Plan festgestellt, dass mehr als 50 Prozent der Umweltaussagen in den untersuchten Printanzeigen spätestens, sobald die EmpCo-Richtlinie der EU in deutsches Recht umgesetzt wird, nicht mehr zulässig sind. „Klimaneutral“-Aussagen sind der Studie zufolge schon vollständig aus der Werbung verschwunden. Was bedeutet das für Unternehmen, die bisher auf Kompensationssiegel samt „klimaneutral“-Claim gesetzt haben?
Katharina: Die Unternehmen müssen sich neu aufstellen – sowohl inhaltlich als auch kommunikativ. Pauschale Klimaneutralitäts-, aber auch andere „Green“ Claims werden in dieser Form tatsächlich schon bald nicht mehr erlaubt sein. Sie stehen im Verdacht des Greenwashings, selbst wenn dahinter sinnvolle Projekte stehen. Was geht, ist die folgende Möglichkeit: „Wir tragen freiwillig zur Erreichung der globalen Klimaziele bei“. Dafür braucht es ein neues Narrativ – und einen neuen, noch transparenteren Kommunikationsstil.
Sie haben Anfang des Jahres Ihr eigenes Label umgestellt – vom „klassischen“ Kompensationslabel zum neuen „Klimaschutzbeitrag“. Ein Vorgriff auf die Verbote ab September 2026?
Katharina: Wir haben unser Label bewusst schon jetzt weiterentwickelt. Der neue Klimaschutzbeitrag orientiert sich am Pariser Klimaabkommen und ist als „Contribution Claim“ zu beschreiben. Unternehmen kommunizieren nicht mehr, dass sie „neutral“ sind, sondern, dass sie in einem gewissen Rahmen durch den Erwerb wirkungsvoller Zertifikate aktiv zum globalen Klimaschutz beitragen. Dieser Beitrag wird nicht auf die eigene Klimabilanz angerechnet, kann aber im Rahmen der CSRD als Engagement für den Klimaschutz berichtet werden. Zudem begleiten wir die Unternehmen kommunikativ, z. B. mit individuellen Landing Pages und Kommunikationsmaterialien.
Lars: Ich finde den Begriff Contribution, also Beitrag, ehrlich gesagt sogar besser. Er beinhaltet, was vor Ort für Anstrengungen unternommen werden müssen, um langfristig wirksame Projekte umzusetzen. Die Unternehmen, die dies finanzieren, tragen ihrerseits zum Gelingen bei. Wir besuchen die Projekte regelmäßig und unterstützen sie über den Kauf von Zertifikaten auch mit langer Erfahrung und weiteren Aktionen, wie etwa Rechtsbeistand, wenn beispielsweise Waldgebieten die Rodung droht. Die Arbeit in langfristig erfolgreichen Waldschutz- und Renaturierungsprojekten kann gar nicht hoch genug gewertet werden. Es ist viel Geduld, eine gewinnbringende Einbindung der lokalen Bevölkerung und jede Menge Fachexpertise vonnöten. Bäume pflanzen kann jeder, über Jahrzehnte einen Wald entwickeln und gegen andere Interessen zu schützen hingegen ist eine Kunst. Wir hätten den Begriff gern schon früher angepasst, doch wir haben zunächst auf klares internationales Regelwerk gehofft… und es dann am Ende doch ohne umgesetzt!
Katharina: Das neue Label wurde juristisch geprüft, ist konform mit den kommenden Vorgaben – und bleibt gleichzeitig ein starkes Signal für freiwilliges Klimaschutz-Engagement. Wichtig ist weiterhin unsere strenge Auswahl handverlesener Projekte – im Moment sind es sogar nur zwei, ein drittes Projekt unterstützen wir auf dem Weg zur Zertifizierung. Auch unsere Standards, nach denen wir eine Zusammenarbeit mit Unternehmen prüfen, haben sich nicht geändert, oder die Anforderungen an deren Corporate Carbon Footprint (CCF)-Berechnung die die Mindestmenge der Zertifikate bestimmt.
Wie geht es für den freiwilligen CO2-Markt jetzt weiter?
Katharina: Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau – national wie international. Klar ist: Unternehmen müssen flexibel bleiben, denn die regulatorische Lage ist erst mal weiter in Bewegung. Ebenso klar ist: Die freiwillige Beteiligung von Unternehmen am CO2-Markt bleibt eine zentrale Säule für globalen Klimaschutz.
Lars: Wir werden sehen, wie sich die zuletzt erfolgte Einigung bei der Klimakonferenz in Baku in Bezug auf den CO2-Markt materialisiert und auch, welche Veränderungen noch im Rahmen der europäischen Einigung auf den Omnibus-Prozess auf uns zukommen. Eins aber ist klar: Die Berichterstattung gemäß Doppelter Wesentlichkeit ist keinesfalls ein unnützes Bürokratiemonster. Es bringt eine Perspektive mit ein, die immer mehr Unternehmen, gerade Großkonzerne, mehr und mehr zunehmend verinnerlichen: Natürlich nehmen wir Einfluss auf Klima und Biodiversität, aber inzwischen wissen und spüren wir, dass deren Veränderungen ganz reale und immer kurzfristigere Auswirkungen auf unsere Geschäftsmodelle haben. Die Berichterstattung deckt also Risiken auf, die Unternehmen zuvor nicht im Blick hatten. Das betrifft nicht nur die typischen Branchen, etwa Nahrungsmittel, Medizin oder Tourismus. Allein die geringere Verfügbarkeit von Wasser stellt viele Bereiche vor die Aufgabe, Prozesse zu verändern und sparsamer zu wirtschaften. Viele Unternehmen haben bereits verstanden, wie wichtig es ist, transparent mit ökologischen Risiken und dem eigenen Einfluss umzugehen. Sie werden es von Zulieferern und Partnern ebenfalls erwarten. Wer jetzt aufhört oder zurückfährt, wird in einigen Jahren abgehängt sein.