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Bürokratieabbau um jeden Preis: Wie die EU ihre eigene Handlungsfähigkeit gefährdet

Der gescheiterte „Sustainability Omnibus“ im EU-Parlament offenbart eine tiefe Spaltung in Brüssel. Während die Mitgliedstaaten schnelle Ergebnisse beim Bürokratieabbau fordern, blockiert sich die EU selbst. Experten der Bertelsmann Stiftung warnen: „Die überhastete Vereinfachungsagenda schafft neue Unsicherheiten und öffnet externen Akteuren wie den USA Tür und Tor, europäische Standards zu schwächen.“

10.11.2025

Bürokratieabbau um jeden Preis: Wie die EU ihre eigene Handlungsfähigkeit gefährdet

Als am 22. Oktober das EU-Parlament über den „Sustainability Omnibus“ abstimmte, brach die eigentlich vereinbarte Mehrheit aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen zusammen. Der Gesetzesentwurf, der mehrere Nachhaltigkeitsregeln gleichzeitig vereinfachen sollte, scheiterte trotz mühsam ausgehandelter Kompromisse. Für die Europäische Union ist dies mehr als nur eine verpasste Abstimmung. Es ist ein politisches Alarmsignal zu einem Zeitpunkt, an dem Europa vor besonders großen Herausforderungen steht.

Die Kommission unter Ursula von der Leyen hatte Bürokratieabbau zur obersten Priorität erklärt. Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und andere europäische Regierungschefs verlangen rasche Resultate. Beim jüngsten EU-Gipfel musste Parlamentspräsidentin Roberta Metsola erklären, warum das Parlament den Omnibus nicht verabschiedet hatte. Dass der Europäische Rat nun solche Rechenschaft vom Parlament fordert, wirft Fragen über das institutionelle Selbstverständnis der EU auf.

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Claudia-Dominique Geiser und Etienne Höra von der Bertelsmann Stiftung analysieren in ihrem Beitrag die Schwachstellen dieser Vereinfachungsagenda. Die beiden Experten für EU-Wirtschaftspolitik kritisieren vor allem die mangelhafte Vorbereitung. Ungewöhnlicherweise gab es keine breite Konsultation von Interessengruppen, keine Folgenabschätzung und keine Berechnung der konkreten Verwaltungskosten, die eingespart werden sollten. Das Ergebnis waren hastig formulierte, kontroverse Vorschläge, die von Anfang an politisch heikel waren.

Besonders brisant: Die geplante Vereinfachung der EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen spaltete die demokratischen Fraktionen. Die Christdemokraten drohten sogar damit, den Vorschlag gemeinsam mit rechtsextremen Fraktionen durchzusetzen, falls die Sozialdemokraten sich weigerten, ihre Forderungen zur Aufweichung von Nachhaltigkeitsregeln zu unterstützen. Welche Gruppe letztlich das Scheitern verursachte, bleibt unklar, da geheim abgestimmt wurde. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen im Nachgang zeigen jedoch, wie wenig Vertrauen zwischen den demokratischen Parteien noch besteht.

Die Spaltung innerhalb der EU macht Europa verwundbar für externe Einflussnahme. Akteure von Katar bis zu den USA versuchen, diese Uneinigkeit auszunutzen, um unerwünschte Regulierungen zu schwächen. Seit dem Beginn von Donald Trumps zweiter Präsidentschaft lobbyieren die USA aggressiv gegen EU-Vorschriften, die für internationale Unternehmen gelten, und drohen mit neuen Zöllen. Katar und Washington nutzen Europas Energieabhängigkeit als Druckmittel und deuten in einem gemeinsamen Brief an EU-Führungskräfte an, dass Gaslieferungen gefährdet sein könnten.

Obwohl die EU seit dem Jahr 2023 über ein Instrument gegen wirtschaftliche Nötigung verfügt, bleibt dieses Werkzeug wirkungslos, wenn interner und externer Druck zusammenfallen. Offiziell besteht die Kommission darauf, dass EU-Regeln nicht verhandelbar sind. Doch die gemeinsame Erklärung zum transatlantischen Handelsabkommen dieses Sommers enthält eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitsstandards keine unangemessenen Beschränkungen für den transatlantischen Handel darstellen.

Die Bertelsmann-Experten warnen eindringlich: „Wenn die EU es nicht schafft, ihren Gesetzgebungsprozess besser zu schützen, lädt sie externe Akteure ein, künftig noch gezielter Einfluss auszuüben.“ Beim kommenden „Digital Omnibus“ mobilisieren US-Technologiekonzerne und die Trump-Administration bereits massiv gegen die digitalen Vorschriften der EU.

Geiser und Höra plädieren für einen strategischeren Ansatz. Schnellere Vereinfachung erfordert besseres handwerkliches Vorgehen. Die EU sollte mit weniger kontroversen Gesetzen beginnen, um schnelle Erfolge zu erzielen. Eine frühzeitige Einbindung der Parlamentsfraktionen könne helfen, stabile Mehrheiten aufzubauen. Gut ausgearbeitete Vorschläge erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass Reformen echte Wirkung entfalten.

Das tiefere Problem liegt jedoch bei den Mitgliedstaaten. Unfähig, sich auf große Reformen zu einigen, flüchten sie sich oft in das scheinbar einfachere Thema Vereinfachung. Dadurch wird Bürokratieabbau zum Ersatz für echte Integration. Die aktuelle Situation zeigt jedoch, dass selbst Vereinfachung politisch komplex ist. Die EU braucht mehr Mut, nicht nur um die bürokratische Belastung zu verringern, sondern um sich strukturell zu erneuern.

Quelle: UD
 

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