Lebensmittel

„Kein Unternehmen kann heute mehr an der Gesellschaft vorbei agieren“

Nestlé hat bereits rund zwei Drittel der 700 Einzelziele seiner Initiative „Qualität bedeutet mehr“ erreicht. Vor zwei Jahren hatte sich das Unternehmen das Programm zur Qualitätsoptimierung seiner 50 Marken in den Dimensionen Ernährung, Sicherheit, Gesellschaft und Ökologie verortet. Ein NGO Beirat mit Fachleuten aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Verbraucherarbeit hat Nestlé bei der Umsetzung unterstützt und wichtige Impulse aus Sicht der Zivilgesellschaft eingebracht. UmweltDialog hat mit Georg Abel, Geschäftsführer der VERBRAUCHER INITIATIVE und Sprecher des NGO Beirats, über die unterschiedlichen Treiber nachhaltiger Produktqualität, das Nestlé-Programm und die Arbeit des NGO Beirats gesprochen.

16.03.2015

„Kein Unternehmen kann heute mehr an der Gesellschaft vorbei agieren“
Nestlé Pressekonferenz: Qualität bedeutet mehr - Fortschritt und Ausblick 2015. Georg Abel, Geschäftsführer Verbraucher Initiative e.V., Gerhard Berssenbrügge, Vorstandsvorsitzender Nestlé Deutschland, Jolanda Schwirtz, Nestlé-Programm-Managerin Qualitätsinitiative (von links nach rechts).

UmweltDialog: Herr Abel, viele in der Lebensmittelbranche benutzen Qualität als Alleinstellungsmerkmal. Wirft das nicht ein trauriges Licht auf die Branche? Eigentlich müsste Qualität doch der Ausgangspunkt und nicht der Endpunkt sein?

Abel: Qualität kann man tatsächlich unterschiedlich verstehen. Die VERBRAUCHER INITIATIVE setzt hier auf eine umfassende Definition, die mehr ist als die gesetzlich überwachte Lebensmittelsicherheit. Für uns gehört dazu auch die unternehmerische Verantwortung für Umwelt und Soziales in der gesamten Lieferkette.

Viele hoffen auf eine Marktveränderung durch bewusstes Kaufverhalten. Aber kann man das eigentlich vom Verbraucher angesichts von Zeitknappheit und medialer Überflutung erwarten?

Abel: Ob bio, fair oder regional – die geänderte Verbrauchernachfrage gibt es bereits. Verbraucher achten verstärkt auf Nachhaltigkeit und bevorzugen verantwortungsvoll agierende Unternehmen. Sie delegieren dabei zunehmend die Verantwortung an Unternehmen. Immer individuellere und durchaus auch widersprüchliche Konsumenten sind dabei eine Herausforderung nicht nur für Unternehmen. Lebensmittel sind dabei die Produktgruppe, die in Umfragen in Verbindung mit Nachhaltigkeit eindeutig am meisten genannt wird. Verbraucher haben die Wahl, über den Erfolg von Produkten und Unternehmen zu entscheiden.

Wer oder was sind dann für Sie weitere wichtige Treiber?

Abel: Beim Megathema Nachhaltigkeit kommt der Lebensmittelbranche eine besondere Bedeutung zu. Doppelt gefordert ist dabei der Handel, einmal als Hersteller von Eigenmarken, aber auch als Mittler zwischen Herstellern und Kunden. In einem gesättigten Markt mit ähnlichen Produkten, geringen Margen und sich absehbar veränderten Einkaufsgewohnheiten wird sich die Branche nachhaltig engagieren müssen. Verbraucher wollen, dass die Akteure komplizierte Prozesse in der Lieferkette erledigen und diese dann glaubwürdig kommunizieren.

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Wie vermitteln Sie bei der VERBRAUCHER INITIATIVE komplizierte Themen wie nachhaltige Lieferketten, Produkt-Transparenz oder Dialogbereitschaft?

Abel: Wir setzen vor allem auf Verbraucherkommunikation und -motivation. So bieten wir mit www.label-online.de das europaweit umfangreichste Portal zu Gütezeichen an. Wir führen Kampagnen durch, betreiben Marktforschung und untersuchen branchenspezifisch die Umwelt- und Sozialverantwortung bei Handel und Herstellern. Unsere Mitglieder erwarten aber auch, dass wir den konstruktiven Dialog mit Unternehmen suchen. Dialog und im Einzelfall auch Kooperationen mit Unternehmen sind für Nichtregierungsorganisationen eine Möglichkeit, politisch zu agieren. Eine Voraussetzung dafür ist ein ambitionierter Unternehmensansatz.

Viele Lebensmittelunternehmen setzen alleine auf „billig“ als Kaufargument. Bei Nestlé geht man bewusst den anderen Weg und hat das Programm „Qualität bedeutet mehr“ ins Leben gerufen. Sie sind dort im NGO Beirat. Wie genau sieht die Arbeit des Beirats aus? Was sind die Aufgaben?

Abel: Die Zusammensetzung des „Experten- und NGO-Beirats“ mit Fachleuten aus den Bereichen Umwelt, Soziales, Ernährungswissenschaft und Verbraucherarbeit bündelt eine vielschichtige externe Kompetenz und ermöglicht unterschiedliche Blickwinkel auf dieses Programm. Der siebenköpfige Beirat übernimmt vor allem strategische und operative Aufgaben. Dazu gehören u. a. der inhaltliche Input zu Schwerpunktthemen, die Bewertung der kontinuierlichen Fortschrittserreichung und Empfehlungen hinsichtlich Prioritäten und Handlungsfelder.

Was haben Sie erreicht? Wie bewerten Sie das Qualitätsprogramm?

Abel: Nestlé liefert mit dem Qualitätsprogramm einen ganzheitlichen Ansatz. Dieser wird durch interne und externe Dialogangebote – neben dem NGO-Beirat gibt es auch einen 32-köpfigen Verbraucherbeirat und den jährlichen Austausch mit Nichtregierungsorganisationen – ergänzt. Diese breit angelegte Dialogbereitschaft und -fähigkeit des Unternehmens war noch vor wenigen Jahren schlecht vorstellbar. Es wird deutlich, dass es sich bei dem Qualitätsprogramm um einen ambitionierten Veränderungs- und Verbesserungsprozess handelt. Dieser ist mit konkreten Zielen und Zeitfenstern in 700 Einzelprojekten sehr umfassend angelegt und nicht auf einige Leuchtturmprojekte beschränkt. Ende 2014 waren rund zwei Drittel der angestrebten Ziele erreicht. Zur Glaubwürdigkeit gehört auch, dass die Produkte zunächst weiterentwickelt werden und dann erst extern kommuniziert wird.

Erfolge des Nestlé-Programms „Qualität bedeutet mehr“ in 2014

  • Kernrohstoffe wie Kaffee, Kakao, Palmöl und Vanille stammen nahezu komplett aus nachhaltigem Anbau
  • Fast jedes zweite von geplant 800 Nestlé-Produkten für Endverbraucher ist mit einem QR-Code ausgestattet, der orientiert an den vier Qualitäts-Dimensionen Informationen zum Produkt bietet
  • Viele Produkte sind auf ihren ernährungsphysiologischen Mehrwert hin überarbeitet worden (Austausch von Fetten, Reduktion von Salz und Zucker)
  • Der Energieverbrauch wurde deutschlandweit durch 120 Einzelprojekte an über 20 Standorten um viereinhalb Prozent, der Wasserverbrauch um sechs Prozent reduziert
  • 88 Prozent der Produktverpackungen sind für werkstoffliches Recycling geeignet
  • Bei 93 Prozent der Kinderprodukte konnten die Ernährungsvorgaben der eigenen Nutritional Foundation umgesetzt werden (optimierte Portionsgrößen, Nährwertverbesserungen)

Welches Thema innerhalb des Qualitätsprogramms lag Ihnen persönlich besonders am Herzen? Wo mussten Sie Abstriche machen?

Abel: Mir geht es nicht um ein spezielles Thema, sondern um einen breit angelegten und umfassenden Veränderungsprozess. Beim Thema QR-Code hätten wir Ende 2014 etwas weiter sein können. Ich bin aber davon überzeugt, bis Ende 2015 sind fast alle Produkte von Nestlé Deutschland entsprechend gekennzeichnet.

Wie geht es weiter? Welche Schritte planen Nestlé und der NGO Beirat als nächstes?

Abel: Es gibt zunächst noch etwa ein Drittel des jetzigen Programms abzuarbeiten. Das Qualitätsprogramm sollte danach mit ambitionierten Zielen weitergehen. Dabei müssen wir uns gemeinsam auch mit „Querschnittsthemen“ wie Biodiversität beschäftigen.

Im Sinne von „Lessons Learned“: Welche Erfahrungen, Formate und Ergebnisse lassen sich auf andere Initiativen, Akteure in der Lebensmittelbranche übertragen?

Abel: Kein Unternehmen kann heute mehr an der Gesellschaft vorbei agieren. Das Festlegen relevanter Ziele, Transparenz und Überprüfbarkeit der Ergebnisse, die Ausrichtung auf den Massenmarkt sind Herausforderungen. Die Verankerung dieses ambitionierten Prozesses im Unternehmen, die Einbeziehung von Mitarbeitern und Lieferanten und die ernstgemeinte Einbeziehung „glaubwürdiger Dritter“ sind unabdingbare Voraussetzungen. Betrachtet man die gesamte Lebensmittelbranche, geht hier sicherlich noch mehr. Nestlé zeigt, dass und wie dies gehen kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Quelle: UmweltDialog
 

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