Biodiversität

Das Pantanal ist „Bedrohter See des Jahres 2021“

Es ist ein trauriger Rekord: Als erstes Feuchtgebiet erhält das Pantanal den Titel „Bedrohter See des Jahres“ bereits zum zweiten Mal. Die Auszeichnung haben der Global Nature Fund (GNF) und das Netzwerk Living Lakes jährlich anlässlich des „World Wetlands Day“ Anfang Februar an einen See oder ein Feuchtgebiet verliehen, das durch den Eingriff des Menschen massiv gefährdet ist.

03.02.2021

Das Pantanal ist „Bedrohter See des Jahres 2021“

Die Zerstörung des südamerikanischen Naturwunders hat verschiedene Ursachen. Welche Maßnahmen notwendig sind, um Jaguar, Flachlandtapir und Co. zu schützen, ist dagegen klar. Sie erfordern den entschlossenen Einsatz der Menschen vor Ort, aber auch in Europa, dessen Konsum Einfluss auf das Netz fragiler Ökosysteme nimmt.

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André Luiz Siqueira macht sich große Sorgen: „Ich kann mich nicht erinnern, dass es hier in den Sommermonaten schon einmal so wenig geregnet hätte wie derzeit. Aber wir brauchen den Regen. Wenn er nicht bald kommt, und wenn nicht viel davon kommt, wird die nächste Feuerperiode definitiv noch schlimmer als die letzte.“ Noch schlimmer? Bereits im brasilianischen Sommer von Dezember 2019 bis März 2020 verzeichnete das Pantanal, das zum größten Teil in Brasilien liegt und mit südwestlichen Ausläufern auch nach Paraguay und Bolivien reicht, die schwerste Dürreperiode der vergangenen sechzig Jahre. Siqueira zufolge verzehrten die Flammen 2020 etwa ein Drittel der Gesamtfläche des größten Binnenlandfeuchtgebiets der Erde.

Brände und Brandstiftung: Ein verheerendes Ausmaß

Der Leiter der brasilianischen Naturschutzorganisation Ecoa – Ecologia e Ação („Ökologie und Aktion“), mit der Global Nature Fund und Living Lakes in der Region kooperieren, rechnet vor: „Mehr als 40.000 Quadratkilometer Land sind im Pantanal verbrannt. Das entspricht in etwa einer Fläche von vier Millionen Fußballfeldern oder der Größe des Bundeslands Baden-Württemberg. Und das sind nicht bloß Zahlen: Es tut mir um die Menschen leid, die unter diesen Bedingungen überleben müssen, um jeden einzelnen Baum und um jeden Kaiman, der es nicht aus dem Inferno herausschafft oder nach den Bränden verhungert, weil er kein Futter mehr findet. Die Zahl getöteter Tiere geht in die Millionen. Und die verheerenden Auswirkungen dieser Brandstiftung auf das südamerikanische, aber auch das Weltklima sind noch gar nicht abschätzbar.“

Dass es im Pantanal gelegentlich zu Bränden kommt, ist normal. Auch dass Landwirtinnen und Landwirte ihre Anbauflächen brandroden, ist leider gängige Praxis. Neuerdings springen diese Feuer immer häufiger auf naturbelassene Flächen über. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich nahezu einig, dass ein Großteil der verheerenden Brände 2020 auf Brandstiftung zur Erschließung neuer Agrarflächen zurückzuführen ist. Viehhaltung, Zuckerrohr- und Sojaanbau boomen in Brasilien – angeheizt von großer überseeischer Nachfrage und forciert von der Regierung Präsident Jair Bolsonaros, dessen Wirtschaftspolitik brasilianische und internationale Natur- und Umweltschutzregularien systematisch unterläuft.

Spirale abwärts: Ein Feuchtgebiet trocknet aus

Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer aktuellen Veröffentlichung zum Pantanal ausführt, ist die Waldfläche im Feuchtgebiet seit den 1980er Jahren um ein Viertel zurückgegangen. Dagegen hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in dieser Region im selben Zeitraum mehr als verdoppelt. Verschlimmert wird die Situation durch den globalen Klimawandel. Ähnlich wie im Amazonasgebiet, das mit verwandten Problemen zu kämpfen hat, aber größere internationale Aufmerksamkeit erhält, führt im Pantanal der Verlust von Waldfläche zu regionalen Temperaturanstiegen und kürzeren Regenzeiten. Dadurch fehlt es an Wasser für eine ausreichende Verdunstung, die sonst eine dichte Wolkendecke über dem Feuchtgebiet bildet, die Sonneneinstrahlung abmildert und das Land vor Austrocknung schützt. Trockene Gebiete aber sind anfälliger für Brände – ein Teufelskreis.

Mit ihrer zweiten Auszeichnung des Pantanal als „Bedrohter See des Jahres“ formulieren der Global Nature Fund und das von ihm koordinierte Netzwerk Living Lakes erneut das Ziel, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Um zu bewahren, was vom UNESCO-Weltnaturerbe mit seiner einzigartigen Artenvielfalt noch übrig ist, braucht es ein Umdenken und entschlossenes Handeln der Menschen vor Ort, aber auch in Nordamerika und Europa. „Das ist für uns ein einmaliger Vorgang“, ordnet GNF-Präsidentin Marion Hammerl die Verleihung ein, „denn wir haben das Pantanal ja bereits 2007 als Bedrohten See des Jahres nominiert. Aber außergewöhnliche Verhältnisse erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Schon vor vierzehn Jahren war die Bedrohungslage des Biodiversity Hotspots Pantanal akut. Und doch überrascht und schockiert uns die dramatische Entwicklung der letzten Monate. Wenn wir nicht jetzt – sofort! – handeln, wird tatsächlich bald nichts Schützenswertes am Río Paraguay mehr übrig sein. Das wäre ein riesiger Verlust.“

Zur GNF-Seite „Bedrohter See des Jahres 2007: Pantanal“

Der Amazonas in Peru

Akuthilfe und Kehrtwenden: Wege aus der Feuerkrise

Die Partner von GNF und Living Lakes vor Ort leisten das Menschenmögliche, um die Auswirkungen der Brände auf Flora und Fauna zu minimieren. So haben Mitarbeitende der brasilianischen Living Lakes-Partnerorganisation Fundação Ecotrópica in den letzten Monaten viele Tonnen Nahrung ins Brandgebiet gebracht und auf Futterinseln verteilt – ein Rettungsanker für Tapire, Capybaras und andere Tiere, denen das Feuer alles genommen hat. Verwundete Tiere werden veterinärmedizinisch versorgt. Die Ecologia e Ação von André Siqueira bildet Freiwillige aus Gemeinden im Pantanal zu Feuerwehrleuten aus, um der Flammen Herr zu werden und Vorbeugungsarbeit zu leisten. „Sie sind unsere Helden in einem großen Kampf“, so Siqueira. „Leider ist das ein Kampf, der allzu oft ausweglos erscheint.“

Akute Hilfe ist unbedingt notwendig, aber der Einsatz für den Bedrohten See 2021 erfordert umfassendere Maßnahmen. „Die Lösungen, um das Pantanal zu schützen und nachhaltig zu nutzen, liegen schon lange auf dem Tisch! Aber die Regierung Brasiliens tut genau das Gegenteil“, unterstreicht Marion Hammerl. „Die Umweltschutzgesetze in Brasilien müssen erweitert, bereits bestehende umgesetzt und Verstöße konsequent geahndet werden. Unsere Auszeichnung ist ein Aufruf an Jair Bolsonaro und seinen Umweltminister Ricardo Salles, eine Kehrtwende ihrer Politik zu vollziehen. Und an den Rest der Welt, nicht die Augen zu verschließen und Druck auszuüben, dass diese Kehrtwende umgehend passiert!“

Globale Gier: Die Zukunft des Pantanal entscheidet sich auf drei Kontinenten

Das Thema sei aber keine rein brasilianische Angelegenheit, so Hammerl weiter: „Es braucht einerseits einen offenen diplomatischen Dialog über die Situation im Pantanal mit den Anrainerstaaten Paraguay und Bolivien. Der findet bislang überhaupt nicht statt. Außerdem müssen wir die negativen Verflechtungen nicht-nachhaltiger Produktionsweisen in Südamerika mit nordamerikanischem und europäischem Konsumverhalten auflösen.“ Mit unseren Konsum- und Ernährungsentscheidungen tragen wir Menschen in Europa massiv zur Bedrohung des Pantanal bei. So werden drei Viertel des weltweit produzierten Sojas als Futtermittel für Schlachttiere verwendet. Nahezu das gesamte Futtersoja in Deutschland und der EU stammt aus Südamerika. Fakten, die der GNF bereits vergangenes Jahr in einem offenen Protestbrief an die brasilianische Regierung aufgezeigt hat, um auch die europäische Verantwortung klar zu benennen.

Zum offenen Protestbrief von GNF und Living Lakes

„Die Auszeichnung des Pantanal als Bedrohter See des Jahres 2021 soll und muss am World Wetlands Day ein Weckruf sein, die zerstörerische Dynamik in diesen kostbaren Ökosystemen aufzuhalten“, betont Hammerl. Gelinge das nicht, drohe ein Szenario, das laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit jedem Jahr wahrscheinlicher wird: „Der ökologische Kollaps. Der würde die lebendige Vielfalt rund um Flüsse, Seen und Sümpfe in den kommenden Jahrzehnten zur Wüste machen.“ Es liegt an uns allen, diesen Albtraum abzuwenden.

Quelle: UD/pm
 

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