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Artenschutz als Menschenrecht?

Die Verwirklichung von Menschenrechten und Biodiversität sind untrennbar miteinander verbunden. Völkerrechtliche Mechanismen und Verpflichtungen zum Arten- und Naturschutz bestehen zwar, es mangelt jedoch an einer effektiven Umsetzung durch die Staatengemeinschaft. Ein Überblick.

29.08.2018

Artenschutz als Menschenrecht?

Von Carsten Schenke

In dem Beitrag „Human rights and the international protection of biodiversity – a promising alliance“ (Teil 1 und Teil 2) stellt Romy Klimke die These auf, dass der Schutz der Biodiversität untrennbar mit der Verwirklichung von Menschenrechten verbunden sei. Sie greift dabei auf den Bericht von John Knox, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Umwelt und Menschenrechte, zurück und argumentiert, dass diese Thematik in der aktuellen Debatte bisher kaum berücksichtigt werde. Zwar bestünden bereits völkerrechtliche Mechanismen und Verpflichtungen, um Biodiversität in hinreichendem Maße zu schützen, es mangele jedoch an einer effektiven Umsetzung durch die Staatengemeinschaft. Dies liege insbesondere daran, dass dem überwiegend ökozentrisch motivierten Biodiversitätsschutz kaum Priorität beigemessen werde. Dies könne gelöst werden, indem Artenschutz als Teil eines Menschenrechtes auf eine gesunde Umwelt (right to a healthy environment) unter völkerrechtlichen Schutz gestellt werde.

Dieser Beitrag zeigt zunächst auf, dass Artenvielfalt durch eine Koppelung an herkömmliche Menschenrechte nicht zureichend gewährleistet werden kann. Sodann werden aktuelle Bestrebungen um die Kodifizierung/Anerkennung des „Rechts auf eine gesunde Umwelt“ skizziert und untersucht, ob der Artenschutz vom Schutzbereich eines solchen Rechts erfasst wäre. Es wird gezeigt, dass eine umfassende Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm nicht zu einer Verbesserung der aktuellen Situation beitragen würde. Abschließend werden einige eigene Lösungsansätze benannt.

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Status quo: Artenschutz mithilfe von Menschenrechten?

Schädigungen der Umwelt (und damit auch Degradierungen der Biodiversität) können auch menschenrechtlich relevant sein, sofern gleichzeitig ein Eingriff in den Schutzbereich eines Menschenrechtes vorliegt. Möglich erscheinen Verletzungen der Menschenrechte auf Leben, Gesundheit, angemessene Ernährung oder auf Privat- und Familienleben.

Fälle mit Umweltbezug werden regelmäßig vor internationalen Gerichten verhandelt. Diese haben gemeinsam, dass sowohl Schädiger als auch die Wirkung der Schädigung auf den Menschen klar bestimmbar sind.

Hinsichtlich einer schleichenden Abnahme der Biodiversität durch menschliche Handlungen stößt der Menschenrechtsschutz jedoch an seine Grenzen: Zum einen sind Schädiger in der Regel nichtstaatliche Akteure (z.B. Landwirte, Industrieunternehmen), die nicht unmittelbar an Menschenrechte gebunden sind. Zum anderen ergeben sich im Bereich der Wirkung des Schädigungsbeitrags Schwierigkeiten. Sofern ein Schädiger bestimmbar ist (z.B. ein staatliches Unternehmen), wird der individuelle Beitrag an der Abnahme der Biodiversität kaum determinierbar sein. Ähnlich wie beim Klimawandel oder anderen globalen Umweltproblemen lässt sich in der Regel der Anteil des Einzelnen an der Schädigung der Biodiversität nicht nachweisen.

Ähnlich problematisch könnte eine Klage direkt gegen den Staat wegen unterlassener (geeigneter) Gesetzgebung sein: Dabei könnte die aus den Menschenrechten auf Leben und Gesundheit ableitbare Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern tangiert sein. Dass ein entsprechender Verstoß eines Staates anerkannt wird, ist zwar bei Gesetzeslücken denkbar, die massive Eingriffe in die Biodiversität zulassen. Bei dem praxisrelevanteren Fall der schleichenden Abnahme der Biodiversität wird der Nachweis, dass die staatliche Schutzpflicht verletzt ist, aber wohl nicht gelingen.

Es lässt sich zusammenfassen, dass bestehende Menschenrechte kaum zum Biodiversitätsschutz beitragen können. Nicht nur sind Klagen gegen private Akteure nicht möglich, auch Klagen gegen staatlich geführte Unternehmen oder hinsichtlich unterlassener Gesetzgebung erscheinen wenig erfolgversprechend.

Eine Justizia-Statue vor blauem Himmel

Das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ und der Artenschutz

Abhilfe könnte ein „Recht auf eine gesunde Umwelt“ schaffen. Zwar wurde das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ bereits in einigen regionalen Abkommen und auch nationalen Verfassungen kodifiziert. An einer völkerrechtlichen Anerkennung auf globaler Ebene fehlt es jedoch bisher.

Das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ wurde in etwa 100 nationalen Verfassungen festgeschrieben. Es wird in fast allen Staaten durch Rechtsprechung, Gesetzgebung oder Zugehörigkeit zu einem dieses Recht anerkennenden regionalen Abkommen garantiert. Die Literatur bleibt gleichwohl vorsichtig damit, das Recht als allgemeinen Rechtsgrundsatz anzuerkennen.

Auf globaler Ebene engagiert sich John Knox bereits seit Beginn seiner Amtszeit als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen im März 2012 für die Anerkennung eines derartigen Rechts. Insbesondere in seinem letzten Amtsjahr scheint es ihm darum zu gehen, Impulse für das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ zu setzen. Im Juni 2018 sprach er sich gemeinsam mit Erik Solheim, dem Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), für die Anerkennung des Rechts per Resolution durch die UN Generalversammlung aus:

„Recognition of the right could take various forms, including the adoption of a resolution by the General Assembly. The adoption of a resolution recognising the right would follow the path taken by the rights to water and sanitation, which were recognized by the General Assembly in 2010.”

Einen anderen Weg hin zur Anerkennung des „Rechts auf eine gesunde Umwelt“ schlägt derzeit eine französische Initiative mit Regierungsunterstützung ein: Am 19. September 2017 stellte Emmanuel Macron den „Global Pact for the Environment“ am Rande der ministerialen Woche der UN Generalversammlung vor. Zentrale Vorschrift ist das „Recht auf eine gesunde Umwelt“ in Artikel eins des Vertragsentwurfs:

„Every person has the right to live in an ecologically sound environment adequate for their health, well-being, dignity, culture and fulfilment.”

Schwierigkeiten im Nachweis

Die Initiative war derart erfolgreich, dass in der Generalversammlung die Resolution „Towards a Global Pact for the Environment“ verabschiedet wurde. Derzeit wird evaluiert, ob eine internationale Konferenz zur Verabschiedung eines entsprechenden völkerrechtlichen Vertrags einberufen werden soll. Der französische Entwurf würde dabei aber nicht als Verhandlungsgrundlage dienen. Dass ein solcher Vertrag ein „Recht auf eine gesunde Umwelt“ enthalten würde, ist aber hinreichend wahrscheinlich.

Obwohl Biodiversitätsverletzungen taugliche Verletzungshandlungen wären, würde der besonders brisante Fall der schleichenden Abnahme der Biodiversität aber keinen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts darstellen. Hierzu ein Beispiel:

Ein Landwirt sprüht Pestizide über ein Feld, in der Folge nimmt die Bienenpopulation ab. Nahe gelegene Obstbäume haben dadurch einen geminderten Ertrag. Abgesehen davon, dass private Akteure ohnehin nicht aus dem Recht verpflichtet werden, steht dieses Beispiel exemplarisch für die praktischen Schwierigkeiten eines solchen Menschenrechts auf Ebene der Kausalität. Erstens lässt sich die Intensität des Biodiversitätsabbaus durch eine individuelle Handlung schwer bestimmen (um wie viel Prozent nahm die lokale Bienenpopulation ab?). Zweitens fällt es schwer, die Kausalität zwischen dem Schaden und der Beeinträchtigung von Menschenrechten nachzuweisen (welchen Einfluss hatte die verminderte Bienenpopulation auf das Menschenrecht auf angemessene Ernährung eines Individuums?). Drittens ist im Falle des schleichenden Biodiversitätsabbaus eine individuelle Verletzungshandlung in der Regel nicht geeignet, Menschenrechte zu beeinträchtigen. Dies geschieht erst durch die Handlungen vieler voneinander rechtlich unabhängiger Akteure (Beispiel: Global versprühen Landwirte Pestizide auf ihren Feldern).

Ein „Recht auf eine gesunde Umwelt“ wird völkerrechtlich bisher also noch nicht garantiert. Sollte es kodifiziert/anerkannt werden, dürfte eine Verletzung der Artenvielfalt grundsätzlich nur in engen Grenzen als Eingriff in den Schutzbereich des Rechts angesehen werden.

Every person has the right to live in an ecologically sound environment adequate for their health, well-being, dignity, culture and fulfilment.

Ausweitung eines potenziellen Umwelt-Menschenrechts auf Artenschutzbelange?

Nehmen wir an, ein „Recht auf eine gesunde Umwelt“ bestünde, welches Individuen gegenüber dem Staat geltend machen könnten. Fraglich ist, ob dieses umfassend auf Biodiversitätsbelange ausgeweitet werden sollte.

Bei der Anerkennung eines einklagbaren „Rechts auf eine gesunde Umwelt“, welches auch Biodiversitätsbelange umfasst, ergäben sich einige Probleme und Herausforderungen. Würde bei Eingriffen in die Biodiversität immer auch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger menschlicher Interessen anerkannt, würde dies womöglich zu einer unkontrollierbaren Flut an Klagen und damit einer Überlastung von Gerichten führen. Dem könnte jedoch möglicherweise ein Stück weit dadurch begegnet werden, dass ein derartiges „Recht auf eine gesunde Umwelt“ in räumlicher Hinsicht lediglich auf den „Lebensraum“ des Individuums beschränkt würde. Bei Umweltschädigungen außerhalb dieses Bereichs würde ein Nachweis der individuellen Betroffenheit fehlschlagen.

Ein weiteres Problem ist, dass nicht garantiert wäre, dass mittels dieses Rechts wirksam gegen schädigende Privatpersonen vorgegangen werden könnte, da nur der Staat unmittelbar verpflichtet wäre. Eine Ausweitung des Rechts auf Biodiversitätsbelange könnte lediglich dementsprechend gewinnbringend sein, als dass die Schwelle der staatlichen Schutzpflicht gegenüber Bürgern abgesenkt würde. Der Staat könnte dann gegebenenfalls leichter zu gesetzlichen Schutzmaßnahmen gezwungen werden.

Insgesamt legt dies nahe, dass ein erweitertes „Recht auf eine gesunde Umwelt“ nicht das gewünschte Allheilmittel für einen effektiven Schutz der Artenvielfalt darstellen würde.

Schmetterling Natur Blume

Verbandsklagen auf nationaler Ebene als Ausweg?

Damit ein mögliches „Recht auf eine gesunde Umwelt“ auch dem Biodiversitätsschutz nutzen könnte, müsste der Fokus auf eine effektive nationale Umsetzung des Rechts gelegt werden. Wie Knox bereits in seinem Bericht über die Beziehung von Menschenrechten und Biodiversität analysiert hat, mangelt es nicht an materiellen Verpflichtungen im Bereich des Artenschutzes. Als Hauptproblem sieht er die Umsetzung bestehender Verpflichtungen. Damit benennt er das im Umwelt(völker)recht allgegenwärtige Problem des Vollzugsdefizits.

Um die Situation im Bereich des Artenschutzes voranzutreiben (und das Vollzugsdefizit zu mindern), müssten die prozessualen Rechte der Bürger dahingehend gestärkt werden, bei Eingriffen in die Biodiversität klagen zu können. Als geeignetes Mittel zur Verminderung von Vollzugsdefiziten haben sich Verbandsklagen (in Deutschland z.B. im Naturschutzrecht, nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz und z.T. im Tierschutzrecht) erwiesen. Diese sollten dahingehend erweitert werden, dass Umweltverbände in noch größerem Umfang bei umweltschädlichem Verhalten privater Akteure Klagerechte zugestanden werden.

Dennoch wird man auch damit das von Romy Klimke angesprochene Problem des schleichenden Abbaus von Biodiversität kaum bewältigen können. Sofern jemals ein Verlangen nach wahrlich effektiver Umweltgesetzgebung bestünde, ginge wohl kein Weg daran vorbei, die Umwelt mit eigenen Rechten auszustatten. Ähnlich einer Verbandsklage könnten beispielsweise anerkannte Umweltverbände prozessstandschaftlich für die Umwelt Rechte geltend machen. Entsprechende Vorschläge kursieren bereits für die Verleihung von subjektiven Rechten an Tiere. Vermutlich wäre für eine solch weitreichende Entscheidung die völkerrechtliche Ebene allerdings ungeeignet.

Dieser Beitrag ist im Original vom völkerrechtsblog veröffentlicht worden.

Quelle: UD/pm
 

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