UN-Entwicklungsziele

SDGs: Wohlstandsentwicklung in den Grenzen des Erdsystems

Mit den „Sustainable Development Goals“ haben die Vereinten Nationen Ende September 2015 einen ambitionierten Katalog von globalen nachhaltigen Entwicklungszielen vorgelegt, mit denen die Weltgemeinschaft in den nächsten 15 Jahren ökonomisch und ökologisch zukunftsfähig gemacht werden soll. Professor Dirk Messner vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) erläutert im Gespräch, warum das Erreichen dieser Ziele kein frommer Wunsch bleiben darf.

12.04.2016

Von Andreas Vierecke

Herr Professor Messner, die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsstaaten haben Ende September mit den „Sustainable Development Goals“ die Nachfolge-Agenda der „Millennium Development Goals“ (MDG) verabschiedet. Was ist das Neue an den neuen Nachhaltigkeitszielen?

Prof. Dirk Messner: Neu ist erstens, dass die Armutsbekämpfung, die im Zentrum der „Millennium Development Goals“ stand, ergänzt wird um die großen ökologischen Nachhaltigkeitsfragen: Schutz des Klimas, der Ozeane, der landwirtschaftlichen Flächen, der Wasserreserven. Das ist wichtig, denn wenn wir den Planeten überlasten und überfordern, kann Armutsbekämpfung nicht gelingen.

Neu ist zweitens, dass die „Sustainable Development Goals“ universelle Ziele sind, an denen sich alle Länder, also auch die Industrieländer messen lassen müssen. Das ist wichtig. Nicht mehr nur die Entwicklungsländer müssen nachweisen, dass sie Anstrengungen unternehmen, um soziale Ziele zu erreichen. Die Industrie- und auch die Schwellenländer müssen unter Beweis stellen, dass sie ihren Ressourcenverbrauch und ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. In den Umweltdimensionen sind die reichen Länder die Problemkandidaten. Die „Sustainable Development Goals“ beschreiben damit erstmals auf multilateraler Grundlage den sozial-ökologischen Raum, in dem sich alle Länder entwickeln sollten.

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Bis 2030 hat man sich 17 konkrete Ziele gesetzt. Gibt es in diesem Katalog Ziele, die aus Ihrer Sicht besonders wichtig sind?

Prof. Messner: Die Ziele sind interdependent. Soziale und ökologische Ziele lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen. Auch die Governance-Ziele, die in den „Sustainable Development Goals“ angesprochen werden, sind zentrale Bausteine, denn die Entwicklungsziele können nur erreicht werden, wenn man entsprechende Institutionen schafft und Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Rechte einzuklagen. Dennoch ist eine Grundüberlegung wichtig. Wir haben in den letzten beiden Dekaden beachtliche Fortschritte in der globalen Armutsbekämpfung gemacht, auch wenn noch viel zu tun bleibt.

Aber: Bei den großen globalen Gemeinschaftsgütern des Erdsystems, wie dem Klima, den Meeren, den Wäldern, den verfügbaren Agrarflächen, gehen alle Trends in die falsche Richtung. Übernutzung, Degradierung, Zerstörung der natürlichen Grundlagen der menschlichen Zivilisation müssen gestoppt werden. Ansonsten werden alle Anstrengungen zur Armutsbekämpfung konterkariert.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat unlängst untersucht, wie es um die Industriestaaten mit Blick auf die „Sustainable Development Goals“ steht und dazu die 34 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) miteinander verglichen. Deutschland liegt in vielen Bereichen auf einem der vorderen Plätze und erreicht insgesamt einen relativ guten Rang 6. Neben dem zu hohen Eintrag von Stickstoff und Phosphor in der Landwirtschaft und der hohen Feinstaubbelastung vor allem in den Großstädten wird die Müll-Bilanz der Deutschen bemängelt: Pro Kopf schlagen hier jährlich 614 Kilogramm Abfall zu Buche (im Vergleich zu 483 Kilogramm im Durchschnitt aller Industriestaaten). Ist das der Preis, den man für ein solides Wirtschaftswachstum sowie die hohe Beschäftigungs- und geringe Armutsquote zahlen muss?

Prof. Messner: Wie alle Industrieländer, verbrauchen auch wir Deutschen zu viele Ressourcen, setzten zu große Mengen Treibhausgase frei, produzieren enorme Mengen Müll und werfen zwischen 30 und 40 Prozent unserer Lebensmittel in den Abfall. Die Antworten darauf sind: Wir müssen lernen, alle Rohstoffe in einen Kreislauf zu führen und eine umfassende Kreislaufwirtschaft entwickeln. Da gibt es sehr viel zu tun. Die Antwort auf die Treibhausgasemissionen lautet Dekarbonisierung der Wirtschaft. Beide Prozesse müssen wir weltweit bis etwa 2070 abschließen, um die Grenzen des Erdsystems einzuhalten.

Nicht nur beim Müll wird gerne auf die Verantwortung des Einzelnen verwiesen. Aber: Ist das wirklich – auch in globaler Perspektive – der richtige Ansatz?

Prof. Messner: Der Einzelne kann sehr viel tun: Für unsere Mobilität sind wir persönlich verantwortlich; Sie können einen Spritschlucker fahren oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Wir sind auch individuell verantwortlich, wenn es um Nahrungsmittel geht, die aus unseren Kühlschränken direkt in den Müll gehen. Aber: Damit Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft gelingen, müssen entsprechende institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, zum Beispiel ein Preis auf Emissionen, Ressourceneffizienzstandards.

Bis 2070 müssen wir global aus den fossilen Energieträgern aussteigen, um die 2-Grad-Leitplanke nicht zu überschreiten. Bis 2050 müssen wir in den Industrieländern die Emissionen um 80-90 Prozent reduziert haben. Bis 2030 müssen alle Länder die Weichen in Richtung Erneuerbarer Energien stellen; dies gilt insbesondere für die Schwellenländer.

Eine letzte Frage: Bei allem, was Sie darüber wissen, was zu tun wäre, damit auf der Erde auch für zukünftig neun Milliarden Menschen ein menschenwürdiges Leben möglich wäre: Mit wieviel Zuversicht blicken Sie in die Zukunft?

Prof. Messner: Wir haben fast alle Elemente für die Transformation zur Nachhaltigkeit auf dem Tisch: technologische Lösungen, institutionelle und soziale Innovationen; die Transformation kann finanziert werden. Es geht nun darum, dass Vorreiter zeigen, dass Nachhaltigkeit funktionieren kann. Deshalb sind die deutsche Energiewende und ähnliche Anstrengungen, zum Beispiel in Dänemark, wichtig. Wenn sie gelingen, werden viele andere folgen.

Über Prof. Dr. Dirk Messner

Prof. Dr. Dirk Messner ist seit 2004 Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn und Vorsitzender des Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Der Politikwissenschaftler lehrt außerdem an der Universität Duisburg-Essen und ist dort Co-Direktor des Käte-Hamburger-Kollegs „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ sowie des „Center for Advanced Studies on Global Cooperation Research“.

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Quelle: UD
 

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