Politik

Das Upgrade für die Demokratie – Methode, nicht Moral

Dass unsere Demokratie in die Krise gerät, ist längst kein Geheimnis mehr. Sinkende Wahlbeteiligung und der Zulauf zu populistischen Parteien sind Symptome, hinter denen eine chronische Auszehrung des demokratischen Prinzips steht.

16.07.2018

Das Upgrade für die Demokratie – Methode, nicht Moral

Die heutige Praxis der demokratischen Beteiligung und Wahlentscheidung erweist sich immer mehr als unfähig, konsensfähige Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit hervorzubringen. Stattdessen erzeugt das System zu viele Verlierer und immer mehr Unzufriedenheit.

Gutmeinende appellieren angesichts des Erosionsprozesses an Werte und Ideale einer offenen Gesellschaft, ohne jedoch mehr als Resonanz unter ohnehin Gleichgesinnten erwarten zu können. Parteien des „demokratischen Spektrums“ verstärken ihre Profilierungszwänge gegen „rechts“, ggf. um den Preis, selbst populistische Positionen zu besetzen. Beide Versuche zur Rettung der Demokratie – der moralische und der machtpolitisch getriebene – dürften das Problem kaum lösen oder es eher verstärken.

Dabei gibt es seit längerem einen wirklich fundierten Vorschlag zur Stärkung demokratischer Prozesse. Dieser Vorschlag ist ein methodischer und er kommt weder aus der Politikwissenschaft noch von Parteireformern. Seine Autoren sind Mathematiker und Informatikexperten, die sich mit Entscheidungstheorien beschäftigen. Menschen also, die Demokratie „rechnen“ können. Erich Visotschnig und Siegfried Schrotta können beweisen, wie falsch die Entscheidungen sind, die durch demokratische Verfahren zustande kommen. Nehmen wir ein Beispiel.

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In einer Kommune bewerben sich fünf Politiker um das Amt des Bürgermeisters. Das sind die Ergebnisse des ersten Wahlgangs:

 
 
25% 22% 21% 17% 15%
Max Meier Felix Müller Sylvia Horn Dieter Busch Agnes Bauer
 
 

Max Meier wäre mit einfacher Mehrheit gewählt. Sollte eine Stichwahl vorgesehen sein, fände sie zwischen Max Meier und Felix Müller statt. Die Entscheidung scheint demokratisch, in Wahrheit verfälscht sie jedoch den Wählerwillen. Das wird offenkundig, wenn man die Zustimmung bzw. Ablehnung der Wähler zu allen fünf Kandidaten ins Kalkül zieht:

 
 

25% 22% 21% 17% 15%
Präferenz 1 Max Meier Felix Müller Sylvia Horn Dieter Busch Agnes Bauer
Präferenz 2 Sylvia Horn Sylvia Horn Dieter Busch Sylvia Horn Sylvia Horn
Präferenz 3 Agnes Bauer Dieter Busch Agnes Bauer Agnes Bauer Dieter Busch
Präferenz 4 Dieter Busch Agnes Bauer Felix Müller Felix Müller Felix Müller
Präferenz 5 Felix Müller Max Meier Max Meier Max Meier Max Meier
 
 

Mit Felix Müller können sich 78 Prozent der Wähler, mit Max Meier 75 Prozent am allerwenigsten anfreunden. Sie haben die höchsten „Widerstands“-Werte. Dagegen wäre Sylvia Horn in der Stichwahl gegen Max Meier oder Felix Müller als Siegerin hervorgegangen, gegen die auch am wenigsten Widerstand unter den Wählern bestanden hätte.

Der Weg des geringsten Widerstandes

Die zentrale Innovation des methodischen Vorschlags von Visotschnig/Schrotta liegt in der Erfassung der „Widerstandswerte“. Die Demokratiereformer fragen nicht nach der Zustimmung zu den einzelnen Entscheidungsalternativen, sondern nach dem relativen und abgestuften Grad des Widerstandes gegen die jeweiligen Alternativen. Dieses Verfahren, das natürlich nicht nur auf Entscheidungen zwischen Personen oder Parteien, sondern auch auf Sachentscheidungen angewandt werden kann, ergibt regelmäßig bessere Ergebnisse, die auf einem breiteren Konsens, sprich: minimalem Widerstand der beteiligten Wähler oder Entscheider beruhen.

Warum ist diese geniale Idee nicht schon längst breite Wirklichkeit geworden? Denn tatsächlich sind es bislang erst ein paar versprengte Kommunen – in der Steiermark und im Innviertel – und ein paar kleine Berater- und Trainingsunternehmen, die die Methode bisher entdeckt haben und einsetzen. Ein Grund mag in dem sperrigen und völlig marketinguntauglichen Namen liegen, den die beiden österreichischen Begründer der Methode ihrem Produkt gegeben haben: Sie sprechen vom „Systemischen Konsensieren“, abgekürzt SK. Da denkt man doch eher an Sozialpädagogik oder eine etwas esoterische Managementtechnik – und nicht an die Innovation, die das Upgrade für unsere Demokratie sein könnte. Also – es muss ein anderer Name gefunden werden!

Auf der kommunalen Ebene, wo Partei- und Machtpolitik naturgemäß eine geringere und reale Probleme und Sachfragen eine größere Rolle spielen, ließe sich die Methode sofort einsetzen und erproben. Damit würden Erfahrungen gemacht, wie man das Verfahren z.B. auch mit Online-Abstimmungen verknüpfen könnte, die wir unbedingt brauchen, um aus dem derzeitigen Dilemma zwischen Politikabstinenz und Populismus herauszufinden. Die Frage ist: Wer sind die Akteure, die dieses notwendige Experiment auf breiter Ebene in Gang setzen könnten?

Das aktuellste Buch zum Thema: Erich Visotschnig: Nicht über unsere Köpfe, 196 Seiten, oekom verlag München, 2018, 20 Euro.

Bei Stratum gibt es eine aktuelle Umfrage zum Thema. Unter allen Teilnehmern werden fünf vom Autor signierte Exemplare von „Nicht über unsere Köpfe“ verlost.

Quelle: UD
 

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