Reporting

Warum (fast) niemand Nachhaltigkeitsberichte liest

In einem Nachhaltigkeitsbericht stecken unglaublich viel Arbeit, Fakten und Leidenschaft. Aber gelesen wird er nur von wenigen. Woran liegt das?

06.06.2017

Warum (fast) niemand Nachhaltigkeitsberichte liest

Nachhaltigkeitsberichte teilen das Schicksal von Geschäftsberichten und Parteiprogrammen. Es wird viel darüber geredet, aber wenig darin geblättert. Die jeweilige Zielgruppe – Wähler, Investoren, Stakeholder – besteht zwar darauf, dass es solche Berichte gibt. Aber deshalb muss man sie ja nicht gleich lesen, würde ein Zyniker sagen. Aber warum eigentlich nicht?

Sind die Stakeholder zu bequem? Gehen die Inhalte an ihnen vorbei? Wie kann man sich ein Bild von etwas machen, wenn man es nicht studiert? Gerade in Zeiten, in denen alternative Fakten mit Wahrheiten konkurrieren, in denen einfache Antworten oft mehr Sympathien finden als komplizierte Sachverhalte, sind diese Fragen systemrelevant.

Vielleicht hilft zum besseren Verständnis eine wissenschaftliche Arbeit von Anthony Downs, die sich durchaus auf den Nachhaltigkeitsbereich übertragen lässt. Downs hat in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die wirtschaftswissenschaftlichen Modelle der individuellen Nutzungsmaximierung auf politische Prozesse angewandt. Seine Annahme war folgende: Informationsgewinnung ist aufwändig. Das gilt für die eingesetzte Zeit und Aufmerksamkeit. So ist etwa die Lektüre von Wahlprogrammen oder Gesetzestexten mühsam. Unweigerlich fragt sich der Wähler: Lohnt sich der Aufwand im Verhältnis zum individuellen Nutzen? Der bestens informierte Wähler erhält am Ende keine bessere Regierung als sein Nachbar, der seine Meinung am Stammtisch bildet. Wissen und Information können zwar ein hoher Wert im persönlichen Umfeld sein, aber zeitökonomisch betrachtet bringt das dem Wähler selbst wenig. Anthony Downs nennt dieses Phänomen „rationale Ignoranz“. Viele sagen sich daher: Sich eine eigene Meinung zu bilden, ist viel zu aufwändig.

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Ein Nachhaltigkeitsbericht enthält wichtige Informationen, die den relevanten Stakeholdern vermittelt werden müssen. Dafür reicht es heutzutage nicht aus, sie nur bereitzustellen. Wissen muss vielmehr über passgenaue Kommunikationskanäle gepusht werden.

Die Kosten (Zeit) übersteigen den Nutzen (es bleibt bei einer Stimme, die jeder Einzelne hat). Wähler verhalten sich, so Downs, in ihrem Eigennutz genau so wie Konsumenten. Wie bilden sie sich dann ihre Meinung? Die pointierten Zusammenfassungen und Interpretationen von Meinungsbildnern – Influencer wie man heute sagt – und Lobbygruppen treffen den Nerv des Eigennutzenaxioms. Die Übernahme von deren vorgefertigter Meinung ist oftmals, ökonomisch gesprochen, für den Einzelnen kostengünstiger. Hierbei spricht man vom sogenannten Rational-Choice-Ansatz der Wahlverhaltensforschung.

Ist das digitale Zeitalter eine Hilfe? Eher nicht. Heute ist es zwar viel leichter, an Informationen zu gelangen und damit die Beschaffungskosten zu senken. Zugleich hat die Menge an Informationen und – noch schlimmer – Absendern derart exponentiell zugenommen, dass der einzelne Nutzer ständig vor der Wahl steht, eine Entscheidung zu treffen. Welchem der unzähligen Webinhalte vertraue ich? Die Kosten zur Informationsbeschaffung sinken, aber die Kosten der Informationsbewertung steigen.

Übertragen wir die Gedanken auf den Nachhaltigkeitsbereich: Viele Stakeholder interessieren sich durchaus für Nachhaltigkeitsthemen. Aber sie wollen, dass diese Informationen convenient aufbereitet sind. Sie wollen die wichtigen Kennzahlen, eine Bewertung und externe Stimmen auf einen Blick resp. in einem Artikel. Sie wollen Medienangebote, die ihnen mit möglichst geringem Aufwand größtmöglichen Nutzen versprechen.

Was heißt das für die Macher von Nachhaltigkeitsberichten? Es reicht heute nicht mehr aus, einen einzelnen Gesamt-Nachhaltigkeitsbericht zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Dabei ist es unerheblich, ob dies nun in gedruckter Form oder online erfolgt. In beiden Fällen geht man nämlich implizit davon aus, dass die Stakeholder sich das für sie Relevante selbst herausfiltern und erarbeiten. Diese Vorstellung widerspricht komplett Anthony Downs Konzept der „rationalen Ignoranz“. Und die ist sogar 70 Jahre alt und lange vor der Zeit der Informationsüberflutung entstanden! Eine gute Nachhaltigkeitskommunikation muss sich also fragen: Wie kann ich die Inhalte eines Nachhaltigkeitsberichtes zielgruppengenau aufbereiten, dass die für mich relevanten Stakeholder dies ohne große (Opportunitäts-)Kosten erfahren?

Die häufigste Wahl, den eigenen Aufwand (Kosten) zu begrenzen, ist es, einen Teil der Informationskosten auf andere abzuwälzen – hier vor allem auf glaubwürdige Medien. Vollredaktionen und Verlage wie etwa der CSR-Nachrichtendienst UmweltDialog.de beleuchten Nachhaltigkeitsberichte. Sie nehmen sich die Zeit, die wichtigsten Punkte herauszuarbeiten. Für den Leser ist der Artikel eine Art externe, unabhängige „Executive Summary“.

Ein anderer wichtige Schritt sollte es sein, schon bei der Materialitätsanalyse nicht nur zu erheben, welche Stakeholder für ein Unternehmen wesentlich sind, sondern auch, wie diese Stakeholder Informationen anschließend erfahren möchten. So wird die Abschlusskommunikation schon am Anfang mitgedacht.

Quelle: UD
 

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