Politik

Deutschland wohnt sich arm

Die Menschen zieht es in die Großstadt. Doch dort ist der Wohnraum knapp und teuer. Neubauten gehen oft am Bedarf vorbei und bedienen nur die Nachfrage der Reichen. Folglich sind die steigenden Immobilien- und Mietpreise für viele zu hoch und die Kosten überfordern sie. Die Wohnungsfrage ist mit aller Macht zurück auf der politischen Agenda: Sie hat verschiedene Aspekte und Gründe, weitreichende Folgen für die Gesellschaft und ist nicht auf die Schnelle zu lösen.

07.08.2018

Deutschland wohnt sich arm

Anschreiben und Lebenslauf zusammengefasst in einer Bewerbungsmappe, dazu ein ansprechendes Äußeres und feste Benimmregeln: Die Wohnungssuche in Großstädten gleicht heutzutage einem Vorstellungsgespräch. Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, persönliche Angaben gegenüber Makler und Vermieter zu machen. Doch in der Regel kommen Bewerber kaum an einer Selbstauskunft vorbei, konkurrieren sie doch mit Hunderten weiterer Interessenten um die wenigen Wohnungen, die bezahlbar sind. Und einer von denen hat bestimmt Einkommensnachweis und Schufa-Auskunft parat. Zum Dank darf man dann auch noch 50 Euro bezahlen, um die Wohnung zu besichtigen.

Wie prekär die Wohnungsknappheit ist, zeigt eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach fehlten in deutschen Großstädten fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen, die sich die lokale Bevölkerung gemessen an ihren finanziellen Möglichkeiten leisten könne. Das heißt, dass die Miete nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens verschlingen sollte. Der größte Mangel herrsche dabei vor allem bei kleinen Wohnungen.

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Angeführt wird die Liste von Berlin, wo über 300.000 Wohnungen fehlen, gefolgt von Hamburg (150.000), Köln (86.000) und München (78.000). Und selbst in Großstädten mit relativ kleinen Versorgungslücken wie beispielsweise Moers, Wolfsburg oder  Koblenz überschreite der Bedarf an günstigen Wohnungen das Angebot jeweils um mehrere Tausend.

Zu wenig Wohnraum, zu hohe Kosten und Zielkonflikte

Das mangelnde Wohnraumangebot in begehrten Regionen – ob als Eigenheim oder zur  Mietnutzung – wird allgemein als ein wesentlicher Kostentreiber für die urbanen  Immobilien-und Mietpreise angesehen. Seine Ursachen: Es ziehen immer mehr Menschen in die Stadt. Dort warten Jobs und Studienplätze; die Daseinsvorsorge und das kulturelle Angebot sind besser ausgebaut. Darüber hinaus benötigen immer mehr Menschen Zweit- und Singlewohnungen, und die durchschnittliche Wohnfläche pro
Person hat sich seit Ende des zweiten Weltkriegs mit 45 Quadratmetern verdreifacht:
„Dabei wird seit Jahren zu wenig gebaut: Von 140.000 Mietwohnungen, die jährlich entstehen müssten, wurde 2015 lediglich ein Drittel fertiggestellt“, informiert die Caritas.

Aber wer bauen möchte, benötigt Fläche. Und die ist hierzulande eine Mangelware:  „Selbst Städte mit starker Wohnungsnachfrage und geeigneten Flächen tun sich mitunter schwer, neue Grundstücke für den Wohnungsbau auszuweisen“, erklärt Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In diesem
Bereich kommt es also zu einem klassischen Zielkonflikt zwischen der sozialen Notwendigkeit nach mehr Wohnraum und dem ökologischen Anspruch nach einem nachhaltigen Ressourcenumgang, der den Schutz unbebauter Flächen mit einschließt.
Deswegen plädieren viele Experten für eine konsequente Nachverdichtung freier  Flächen in bereits bebauten Gebieten, um dieses Dilemma aufzulösen.

Neubau alleine reicht nicht 

Wer allerdings meint, die hohen Preise ließen sich alleine durch reinen
Neubau lösen, den belehrt die Studie der Böckler-Stiftung eines Besseren.
Denn die Mieten für neue Wohnungen übersteigen in fast allen Großstädten
die Bestandsmieten. Um die Lücke bei bezahlbaren Wohnungen zu
verkleinern, müsse das Angebot an Kleinwohnungen von vier bis fünf Euro
pro Quadratmeter steigen: „Das ist nur durch eine deutliche Stärkung des
sozialen Wohnungsbaus möglich. Dazu müssen einerseits mehr Sozialwohnungen
als in den vergangenen Jahren entstehen. Andererseits muss
auch die Sozial- und Mietpreisbindung im Wohnungsbestand wieder
ausgeweitet werden“, sagen die Stadtsoziologen der HU Berlin und der GU
Frankfurt, die die Studie durchgeführt haben.

Darüber hinaus klagen Immobilien und Branchenverbände auch über die hohen Kosten, die beim Bauen etwa durch Standards oder Umweltauflagen entstünden. Aus diesem  Grund würde sich teilweise nur die Errichtung von Luxusgebäuden mit hohen  Mieteinnahmen rentieren. Für Hanno Rauterberg von der ZEIT ist dieses Argument zu kurz gegriffen: „In München hat sich der Preis für Grundstücke verdreifacht – in nur zehn Jahren. Und so sind es nicht bloß teure Handwerksrechnungen oder aufwendige Dämmstoffe, nicht allein Arbeit und Material und der deutsche Vorschriftswahn, die
eine Wohnung zum Luxusgut machen“, so Rauterberg. „Es ist vor allem der Boden. Er lässt die Baupreise so weit steigen, dass bei einem neuen Haus bis zu 70 Prozent des Budgets allein für das Grundstück draufgehen.“ Daher erweise sich die Wohnkrise als großer Treiber der aktuellen sozialen Ungerechtigkeit: „Wäre die Gesellschaft nicht gespalten – in Grundbesitzer und Grundlose – würde die Kluft zwischen Arm und Reich nicht so weit aufspringen.“

Politik ist in der Pflicht

Die aktuelle Sorge über zunehmende Verdrängungseffekte und mangelnde Teilhabe breiter gesellschaftlicher Schichten am städtischen Wohnungsmarkt ist keineswegs neu. So sprach beispielsweise Björn Egner von der TU Darmstadt bereits vor einigen Jahren in diesem Zusammenhang von Marktversagen, da die Wohnungsraumnachfrage zwar zu höheren Preisen, aber nicht der Logik entsprechend zu mehr Angebot geführt habe: „Dies wird dadurch deutlich, dass Wohnungsmärkte ohne politische Steuerung Ergebnisse produzieren, die sozial nicht erwünscht sind. Die Einsicht macht sich wieder verstärkt geltend, dass Wohnen kein Wirtschafts-, sondern ein Sozialgut ist und deshalb politische Eingriffe notwendig sind.“

Und die Politik hat nun versprochen zu liefern. Im aktuellen Koalitionsvertrag hat die Regierung ein Milliardenpaket vereinbart, das den Wohnungsbau ankurbeln und sozialverträglicher machen soll. Insgesamt sollen so durch verschiedene Maßnahmen über 1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime privat finanziert und durch öffentliche
Förderung entstehen. Zu diesen Maßnahmen gehört die Einführung eines Baukindergeldes, die Bereitstellung von zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau oder die Einführung einer Grundsteuer C für Brachflächen, die Eigentümer dazu drängen soll, die Grundstücke zu bebauen oder zu verkaufen, anstelle auf höhere Preise zu spekulieren. Die bis dato gescheiterte Mietpreisbremse plant die
Regierung zu verschärfen.

Wohnen ist kein Wirtschafts-, sondern ein Sozialgut.

Wohnungsfrage: Masse, Polarisierung und Qualität

Die Wohnungsfrage in der Stadt hat weitreichende Folgen für unsere Gesellschaft. Alleinerziehende, Studenten, alte und einkommensschwache Menschen überfordern sich finanziell oder ziehen in billige Randlagen mit schlechter Infrastruktur; bleiben können nur diejenigen mit reichen Eltern oder einem sehr hohen Gehalt. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch den Trend der Gentrifizierung attraktiver Stadtteile, der zum Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen durch zahlungskräftige Eigentümer und Mieter führt. Auf diese Weise kommt es zu einer sozialräumlichen Polarisierung innerhalb der Städte: „Immer mehr Menschen erfahren, dass sie nahezu chancenlos auf dem Wohnungsmarkt sind“, sagt etwa Caritas-Präsident Peter Neher. Der Sozialverband hat Anfang des Jahres eine Kampagne gegen Wohnungsnot gestartet: „Wenn zunehmend der Geldbeutel bestimmt, wie sich Stadtteile und Quartiere  zusammensetzen, führt dies zu einem Auseinanderdriften von Milieus und schwächt so den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Dorf Gemeinde Kirche Land Zeichnung

Neben der Masse und der sozialräumlichen Entwicklung der Stadt spielt auch die Qualität der Wohnungen eine entscheidende Rolle, um die Situation der Bewohner zu beurteilen. So können sich Benachteiligte in der Regel vor allem schlecht ausgestattete Altbauwohnungen und Siedlungsbauten leisten: „Eine zweite Problemgruppe stellen die etwa eine Million Wohnungen dar, die im Zuge der massiven Privatisierung von institutionellen Anlegern erworben worden sind“, sagt der Sozialwissenschaftler Andrej
Holm. „In Beständen, die nicht gewinnbringend weiterverkauft werden konnten, sind die Finanzinvestoren zu Bestandshaltern wider Willen geworden und versuchen vielerorts, durch Deinvestitionsstrategien das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben
profitabel zu gestalten.“ Dadurch würden Häuser nicht instandgehalten und das Wohnumfeld verwahrlose.

Verfassungsauftrag: Gleichwertige Lebensverhältnisse

Menschenwürdige Qualität, eine hinreichende Anzahl von Wohnungen, die bezahlbar sind und von jedem unabhängig von Geschlecht, Alter oder Hautfarbe gemietet werden können: Das müsste in Deutschland eigentlich selbstverständlich sein. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht, und es ist im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verankert. Deutschland muss es umsetzen, unabhängig davon, ob das Recht auf Wohnen im Grundgesetz steht oder nicht. Außerdem verfolgt die Bundesrepublik den Verfassungsauftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse hierzulande zu gewährleisten. Das bezieht sich auf menschenwürdige Wohnverhältnisse genauso wie auf eine Grundinfrastruktur, die eine flächendeckende Daseinsvorsorge sicherstellt. Auf diese Weise soll jeder, unabhängig von seinem Wohnort, gleiche gesellschaftliche Teilhabechancen haben.

Demografischer Wandel und Klimawandel bestimmen künftig Qualität

Die Wohnungsqualität zeigt sich künftig auch daran, ob sie die Bedürfnisse nach Barrierefreiheit einer alternden Gesellschaft befriedigen kann. Ziel ist es, dass Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben können. Darüber hinaus stellt der Klimawandel völlig neue Herausforderungen an die Wohnungsqualität. So müssen Standortauswahl und Baumaterialien an extreme Wetterereignisse wie Hitzeperioden angepasst werden, damit Wohnräume weiterhin ihre Bewohner vor der Umwelt schützen können.

Dieses Ziel ist aber gerade auf dem Land immer schwieriger umzusetzen. In Regionen, die besonders stark von der Landflucht betroffen sind, wie Teile Ostdeutschlands etwa, müssen die Menschen oft weite Wege bis zum nächsten Supermarkt oder zur nächsten Apotheke zurücklegen. Ohne Auto ist man aufgeschmissen. Das ist vor allem für ältere Menschen ein Problem, die nicht mehr fahren können. Sie sind dann auf Verwandte  oder Hilfsdienste angewiesen. Ein weiteres Problem ist der chronische Ärztemangel auf dem Land. Wird ein Facharzttermin benötigt, müssen Patienten teilweise Monate warten. „Bund, Länder und Kommunen müssen insbesondere das Thema Mobilität und Daseinsfürsorge genauer in den Fokus nehmen, um bei Abwanderungstendenzen frühzeitig gegenzusteuern und Mindestversorgungen zu sichern“, sagt etwa Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBR).

Best Practice: Oberzent in Hessen

Dabei sei es auch wichtig, Klein- und Mittelstädte als Versorgungszentren für die umliegenden Orte zu stärken. Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur auch im ländlichenn Raum bietet Chancen, neue Versorgungs- und Mobilitätskonzepte zu entwickeln und auch langfristig neue Arbeitsplätze in der Region zu ermöglichen und zu erhalten. Die Grundvoraussetzungen hierfür zu schaffen, muss auch
als Pflicht der Daseinsvorsorge verstanden werden, um die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen zu gewährleisten“, ergänzt Wesseler.

Wie das funktionieren kann, zeigt beispielsweise die Stadt Oberzent im Odenwald, die am 1. Januar 2018 aus einem Zusammenschluss von vier Kommunen hervorgegangen ist. Es ist die erste hessische Stadtgründung seit 40 Jahren; die große Mehrheit der Bewohner hatte dem Prozess per Volksentscheid zugestimmt. Ein Schritt, der für die hochverschuldeten Gemeinden unumstößlich war, stiegen die laufenden Kosten für die Infrastruktur bei sinkender Bevölkerungszahl doch ins Unermessliche. Für andere wichtige Projekte blieb kein Geld mehr übrig. Das ist nun anders. Denn durch die Stadtgründung ist Oberzent zur drittgrößten Kommune in Hessen geworden. Dadurch bekommt sie mehr Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich des Landes. Das hat Oberzent außerdem Teile der Schulden erlassen, wie der Deutschlandfunk berichtet. Ein Gesundheitszentrum und schnelles Internet sollen die Region für junge Leute attraktiv machen. Günstige Kredite sollen ihnen den Umzug aus den überfüllten Großstädten der Metropolregion Rhein-Neckar schmackhaft machen, denn leerstehende Gebäude gibt es in Oberzent zur Genüge.

Leerstand: gesellschaftliches Problem

Den Leerstand in schrumpfenden Gebieten zu bekämpfen, ist eine der dringlichsten Aufgaben der ländlichen Wohnungspolitik. Auch wenn leerstehende Gebäude zunächst das Problem der Eigentümer sind, haben sie eine negative Auswirkung auf ihre Umgebung. Schlechte Vermietungschancen anderer Gebäude oder Vandalismus können die Folge sein. Was Gemeinden dagegen tun können? Zum einen müssen sie dafür  sorgen, dass verfallene Gebäude abgerissen werden, um die Wohnqualität der Stadt zu erhalten. Zum anderen ist es wichtig, die Dorfzentren als Wohnort attraktiver zu gestalten und etwa den Bau neuer Einfamilienhäuser zu vermeiden, wie beispielsweise Michael Voigtländer vom IW sagt. Denn das würde die Zersiedelung der Regionen weiter befördern; die Leerstände blieben erhalten. Außerdem käme es künftig zu einem Preisverfall der Eigenheime, da die Nachfrage durch den Bevölerungsschwund sinke. Für den Immobilienexperten stellen die Folgen des Demografischen Wandels und des  Leerstandes auf dem Land sogar eine größere Herausforderung für die Wohnungspolitik als die Preissteigerung in den Großstädten dar: „Schließlich zeigen die Schrumpfungsprozesse aufgrund des Strukturwandels, wie etwa im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland, wie schwierig es ist, Abwärtsspiralen zu durchbrechen. Das  ansteigende Durchschnittsalter wird es dabei nicht einfacher machen, die notwendigen Schritte zu gehen“, so Voigtländer.

Dieser Artikel ist im Original im UmweltDialog-Magazin „Nachhaltig Bauen & Wohnen“im Mai 2018 erschienen.

Mehr zum Thema:

UD-Banner-Nachhaltig bauen und wohnen
Quelle: UmweltDialog
 

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