Vision Wasserstoff - Linde Vorreiter

Kein anderes chemisches Element kommt so häufig vor wie Wasserstoff. Doch die Potenziale werden erst langsam genutzt: Viele Experten sehen darin die Zukunft unserer Energieversorgung. Der Schlüssel dazu liegt in den Händen von Technologiekonzernen wie etwa Linde.

02.11.2005

Henry Cavendish war jemand, den man mit Fug und Recht als einen kauzigen englischen Landadligen bezeichnen kann. Von Geburt an war der im 18. Jahrhundert lebende Sohn des Herzogs von Devonshire mit drei Dingen ausgezeichnet: Reichlich Geld, ebenso vielen Marotten und einer Leidenschaft für Chemie. Mit seiner Dienerschaft soll er nur schriftlich verkehrt haben, mit „seinesgleichen“ nur einzeln - kamen andere hinzu, so ging er weg. Auch für seine Forschung scheute er die Öffentlichkeit: Das meiste wurde erst in seinem Nachlass gefunden. Hätte Cavendish sich nicht für Chemie interessiert und das Element Wasserstoff und seine energetische Kraft entdeckt, er wäre heute längst vergessen.
 
Es sollte allerdings noch mehr als 200 Jahre dauern, bis die Menschheit langsam das enorme Potenzial von Cavendishs Entdeckung zu verstehen begann. Wasserstoff ist nämlich eine gigantische Energiequelle. Die Raumfahrt etwa nutzt seit Beginn an Wasserstoff als Treibstoff, da es 3,5 Mal so effektiv ist wie Erdöl. Auch in der Petrochemie kommt es zum Einsatz: So werden heute mit Hilfe von Wasserstoff Kraftstoffe entschwefelt, und das Benzin wird dadurch effektiver und schadstoffarmer.
 
Da seine Gewinnung aufwändiger ist als die fossiler Brennstoffe, sind solche Beispiele noch Einzelfälle. Aber angesichts steigender Ölpreise und vor allem des absehbaren Endes der Erdöl- und Erdgas-Vorkommen rückt Wasserstoff jedoch zunehmend in den Blickpunkt der Wirtschaft. Anders als fossile Brennstoffe kommt Wasserstoff nämlich fast unbegrenzt vor: 75 Prozent der Masse im Weltall sollen daraus bestehen.

Industriell genutzt wird Wasserstoff seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Vorreiter ist hier die Firma Linde: Der Wiesbadener Technologiekonzern liefert als größter Wasserstoffanlagenbauer der Welt und führendes Industriegasseunternehmen in Europa seit 1910 Wasserstoff für vielfältige Anwendungen, zum Beispiel in der chemischen und petrochemischen oder der Lebensmittelindustrie. Mit der Entwicklung neuer Wasserstofftechnologien, darunter innovative Tank- und Versorgungssysteme, ist Linde gleichzeitig ein starker Partner zur Förderung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft.
Visionen für die Zeit nach dem Öl

Für diesen Energieträger interessieren sich all jene Branchen, die vom Erdöl besonders abhängig sind, wie etwa die Automobilindustrie. Ob in München, Wolfsburg oder Rüsselsheim - in Deutschlands Autoschmieden wird derzeit auf Hochtouren an einer neuen Antriebstechnologie geforscht. Die Motivation liegt auf der Hand: Öl ist endlich. Wollen diese Konzerne auch noch weit im 21. Jahrhundert Geschäfte machen, müssen sie rechtzeitig kundenfreundliche Produkte für das Nach-Öl-Zeitalter anbieten.
 
Wie könnte der Treibstoff von morgen aussehen? Biomasse als alternativer Rohstoff wird hier wohl nur eine Nische ausfüllen können. Zum einen entstehen weiterhin klimaschädliche Emissionen, sei es bei der Produktion und bei der Verbrennung, und zum anderen: So viel Raps und andere Biomaterialen kann niemand anbauen, wie benötig würden. Eine irische Studie geht davon aus, dass 1/3 der weltweiten Agrarflächen dafür benutzt werden müssten, was dann wiederum an Anbaufläche für Lebensmittel fehlen würde.

Wasserstoff als Energiequelle erscheint da verlockend: Es lässt sich aus fast jedem Stoff gewinnen, ob Wasser, Biomasse oder anderen chemischen Prozessen, da es ja auch fast überall vorkommt. Bei der Verbrennung entstehen als „Abfallprodukte“ lediglich Wasser und Wasserdampf. Angesichts so vieler Vorteile wundert es, dass Wasserstoff nicht längst intensiv genutzt wird. Ein Grund ist, dass die Ingenieure auf drei zentrale Fragen noch keine marktreife Antwort geben können: Die Produktion des Wasserstoffs, der Aufbau einer Infrastruktur und schließlich die Wirtschaftlichkeit dieser Technologie.

Weltweit größte Wasserstofftankstelle

 
 Die Produktion: Wasserstoff gibt es nicht wie Erdgas in Lagerstätten. Es muss aus bestehenden Verbindungen, wie etwa Wasser, unter erheblichem Energieaufwand herausgelöst und gewonnen werden. Nachhaltig und damit zukunftsfähig werden diese Verfahren erst, wenn Wasserstoff mit Hilfe regenerativer Energien gewonnen wird. Dass solch ein „Null-Emissionen-Kreislauf“ funktionieren kann, kann man seit November 2004 in Berlin sehen. Dort eröffnete die weltweit größte Wasserstofftankstelle im Rahmen der „Clean Energy Partnership“. Der dort verkaufte Wasserstoff wird aus garantiert grünem Strom gewonnen. Linde war hieran maßgeblich beteiligt: Es liefert nicht nur den flüssigen Wasserstoff LH2, sondern auch die gesamte Tankstellentechnik, die es erlaubt, parallel zum herkömmlichen Benzin diesen neuen Treibstoff der Zukunft zu tanken. 
 
Um die Versorgungssicherheit auszubauen, hat Linde erst kürzlich am Chemiestandort Leuna Deutschlands zweite Wasserstoff-Verflüssigungsanlage errichtet. Das Projekt mit einem Investitionsvolumen von über 20 Millionen Euro wird bis Mitte 2007 in unmittelbarer Nähe der ebenfalls von Linde betriebenen Wasserstoff-Produktionsanlagen realisiert. "Der Verflüssiger in Leuna sichert in erster Linie die Versorgung unserer industriellen Wasserstoff-Kunden. Langfristig wird die Anlage darüber hinaus auch einen wesentlichen Baustein für das zukünftige Wasserstoff-Tankstellennetz in Europa bilden, das in den kommenden Jahren entstehen soll,“ so Wolfgang Reitzle, Vorsitzender des Vorstands der Linde AG.

Vision „Wasserstoffgesellschaft“ ist bezahlbar

 
 In der Vergangenheit sind einige Studien über die Wasserstoffinfrastruktur durchgeführt worden. Es sind jedoch keine Informationen über die Kosten einer derartigen Infrastruktur in Europa öffentlich zugänglich. Es besteht der Eindruck, dass dies äußerst teuer sein würde. Linde hat daher David Hart von der Firma e4Tech in der Schweiz damit beauftragt, die Kosten einer Wasserstoffinfrastruktur für Produktion, Distribution und Betankung einzuschätzen. Die Studie dient der Unterstützung der von der Automobilindustrie vorausgesagten Kommerzialisierung von wasserstoffbetriebenen Pkws in der Europäischen Union.
 
Der Bericht berücksichtigt zwei Strategierahmen - eine Entwicklung, die sich auf die größten städtischen Ballungsgebiete in Europa konzentriert (Szenario 1), und eine gezieltere Entwicklung, die sich auf die Automobilindustriezentren in Europa konzentriert (Szenario 2). David Hart geht für die Berechnung der Infrastrukturkosten in einer ersten Phase europaweit von etwa 6,1 Millionen Wasserstoffautos bis 2020 aus, die ein Netz von etwa 2.800 Tankstellen erforderlich machten. Auf Deutschland bezogen würde die Infrastruktur zur Versorgung von 1,9 Millionen Autos mit dem umweltfreundlichen Kraftstoff Wasserstoff 870 Millionen Euro kosten.

Die anfängliche Investition in eine Wasserstoffinfrastruktur profitiert vom „Abfallwasserstoff“ aus chemischen Fabriken, die genug Wasserstoff liefern, um Tausende von Autos zu versorgen, und je nach Entwicklung des Markts ermöglichen, dass der Bau neuer Produktionsanlagen bis 2015 -18 aufgeschoben werden kann. "Das Ergebnis der Studie ist für uns ein klares Signal", erklärte Linde-Vorstand Wolfgang Reitzle. "Der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft ist machbar."

Fragezeichen bleiben in Bezug auf das Engagement der europäischen Regierungen beim Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur. Wolfgang Reitzle: "Ein positives Zeichen der Politik wäre wichtig, um Investoren und Verbrauchern Sicherheit zu geben. Sehr förderlich für den Erfolg der Wasserstoff-Infrastruktur wäre beispielsweise eine Steuerbefreiung auf Wasserstoff bis zum Jahr 2020."
 
Fazit: Wasserstoff ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Wer sie beherrscht, hat eine wirtschaftlich attraktive Zukunft und schafft auf Dauer Werte und Arbeitsplätze. Der Standort Deutschland hat hier zur Zeit eine Spitzenstellung inne. Es bleibt zu hoffen, dass sie diese konsequent ausbaut wird und Europa seine Entdeckungen nicht wie Cavendish in der Schublade versteckt.
Quelle: UD
 
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