Politik

Fußballhistoriker Horak: WM ist sozial unverträglich

Die Weltmeisterschaft ist voll im Gange. Zuvor kam es in Brasilien aber zu Massenkundgebungen und Ausschreitungen. Von der Kritik an den sozialen Missständen in dem Land ist momentan aber nur mehr wenig zu hören. "Die politischen Proteste werden nach dem Turnier wieder aufkeimen", ist sich der Wiener Soziologe Roman Horak sicher. Der "Fußball-Professor" spricht im Interview über absurde Stadionprojekte, das Kalkül der Mächtigen und einen autokratischen Verein aus der Schweiz.

10.07.2014

Fußballhistoriker Horak: WM ist sozial unverträglich zoom

Die Vorrunde ist vorbei. Wie sieht Ihr sportliches Zwischenfazit aus?

Die guten Leistungen der Mannschaften aus Süd- und Mittelamerika finde ich sehr interessant. Costa Rica, Chile, Kolumbien und Mexiko haben bislang einen ziemlich dominanten Fußball gezeigt und treten kompakt auf. Trotz wenig großer Stars spielen sie einen erfrischenden Fußball. Das gefällt mir. Weh tut mir jedoch, dass die Engländer schon so früh ihre Koffer packen mussten.

Momentan steht nur der Sport im Mittelpunkt. In den vergangenen Monaten waren allerdings die sozialen Missstände in Brasilien das zentrale Thema. Ist der Volkszorn durch "Brot und Spiele" wirklich in den Griff zu bekommen?

Ein Spektakel wie die Weltmeisterschaft hat zweifellos einen ablenkenden Charakter. Doch die politischen Proteste werden nach dem Turnier sicher weitergehen. Großereignisse binden für einen gewissen Zeitraum die Aufmerksamkeit der Bevölkerung, aber der soziale Unmut verschwindet deshalb nicht. Diese Ablenkung ist auch ein Grund dafür, dass ich nie ein großer Anhänger von Nationalmannschaften war.

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Bei einigen Stadien in Brasilien weiß man schon jetzt, dass man nach dem Turnier keine adäquate Verwendung für sie findet. Die Arena in Manaus liegt im Regenwald und fasst rund 44.000 Zuseher. Der dortige Verein spielt in der vierten brasilianischen Liga. Ist das nicht grotesk?

Ja, es ist schlicht pervers. Große Stadien werden mitten im Dschungel aus dem Boden gestampft und nach vier Wochen ist der ganze Spuk vorbei. Man darf aber nicht vergessen, dass sich die Proteste in Brasilien nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern auch gegen die FIFA mit ihren rigorosen Vorgaben richten. Man muss sich einmal vorstellen, was das bedeutet. Ein korrupter und völlig unkontrollierter Schweizer Verein diktiert Staaten, was sie im fußballerischen Kontext zu tun haben. Andererseits: Wenn man sich als Regierung darauf einlässt eine Weltmeisterschaft zu organisieren, dann muss man auch die Verantwortung tragen. Das ist der Deal.

Die Umstände in Brasilien erinnern an die Winterspiele in Sotschi oder die WM in Südafrika. Haben diese gigantomanischen Megaevents in ihrer jetzigen Form überhaupt noch eine Zukunft angesichts der fatalen Begleiterscheinungen?

Sie haben recht. Die Events werden immer absurder. Ich befürchte aber, solange Herrschende die Chance sehen, aus solchen Veranstaltungen nach außen und innen Kapital zu schlagen, werden sie die negativen Aspekte einfach in Kauf nehmen. Koste es was es wolle, vor allem in autokratischeren Staaten.

Aufgrund der zahlreichen Skandale hat die FIFA mittlerweile ein großes Reputationsproblem. Ist der Grund dafür das "System Blatter" oder würde die FIFA auch ohne ihn so agieren?

Dieser "kleine" Verein aus Zürich regiert den weltweit einflussreichsten Sport auf eine ziemlich autokratische Weise. Dass jemand wie Blatter diesem Verein vorsitzt, ist bestimmt kein Zufall. Die Strukturen der FIFA und die handelnden Personen passen gegenseitig gut zueinander. Ein demokratisch engagierter Veränderer hätte dort kein Leiberl. Ich wüsste auch nicht warum sich die FIFA reformieren sollte. Es "funktioniert" doch alles.

Quelle: UD/pte
 

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